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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Basra -
Sehr menschlich sieht der verkohlte Klumpen nicht mehr aus. Ali Abdul al-Rdah hat ihn trotzdem schon einige Minuten in den Händen. Immer wieder dreht er ihn vor seinen Augen hin und her,
zeigt mit den Fingern auf Punkte und meint, verschiedene Farblinien zu erkennen. "Hier liefen die Adern", sagt der 20-jährige Medizinstudent. Dann wirft er den mit buntem Plastik
überzogenen Holzfuß der Unterrichtspuppe zurück in den Müll. Die Asche, die den Boden des Medizin-Instituts der Universität von Basra bedeckt, wirbelt auf und das Licht der Sonne zeichnet
sich exakt im Staub ab. Ali ist an diesem Freitag zum ersten Mal seit rund 25 Tagen an seiner alten Fakultät. Der schmächtige Mann steht mit seinen gebügelten Hosen und dem makellos
gestärkten Hemd in dem, was noch von seiner Universität übrig ist. In zwei Monaten wollte der Ali in dem zweigeschossigen Gebäude den Abschluss im Hauptstudium machen. "Danach hätte ich
mich entscheiden müssen, welche Fachrichtung ich einschlage", sagt der junge Iraker aus Basra, "doch das kann ich nun noch etwas verschieben." Er zwingt sich ein Lächeln auf
sein Gesicht, doch es gelingt ihm nicht so recht. DER STURM DER SALABA Nicht nur das Medizingebäude der Universität gleicht einem Trümmerfeld. In allen der mehreren Dutzend Gebäude auf dem
weitläufigen Areal sind die Fenster zerborsten. Aus vielen der glaslosen Rahmen quillt noch immer der tiefschwarze Qualm schmorenden Plastiks. Rund um die Institute für Medizin, Jura,
Fremdsprachen und vielen anderen Fachrichtungen sieht der Boden wie eine Müllhalde aus. Papiere, auseinander gerissene Möbel, Verteilerkästen, Schränke pflastern die Wege und den Rasen auf
den schattigen Innenhöfen. Vor vielen der Häuser stehen Eselskarren, auf denen Plünderer nach wie vor ihre Beute festzurren und dann eilig davon eilen. Der eigentliche Sturm der Salaba auf
die Universität liegt schon einige Tage zurück. Salabas heißen auf arabisch die Männer, Kinder und Frauen, die Basra als Hauptstadt der Nachkriegsanarchie weltberühmt machten - die
Plünderer. Kurz nach den ersten Bodenangriffen der Briten in Basra stürmte eine entfesselte Menschenmenge den Campus. "Sie kamen zu Hunderten, vielleicht auch zu Tausenden",
erinnert sich einer der technischen Lehrer, "sie nahmen alles mit, was ihre Hände und Autos trugen und zerstörten das, was sie nicht mitnehmen konnten." Hilflos mussten die
Mitarbeiter der Universität mit ansehen, wie Gebäude nach Gebäude in Flammen aufging und Raum nach Raum zerlegt wurde. PLÜNDERER - EINE FALLE? Die britischen Soldaten hatten in den Tagen
zuvor in der Umgebung des Campus rund 30 Fedayin-Kämpfer ausgemacht. Im Kampf Mann gegen Mann schalteten sie die Guerilla-Truppe Saddams aus und verloren dabei selbst zwei Soldaten. Die
Einschusslöcher der Maschinenpistolen sind in manchen Gebäuden noch zu sehen, doch die Verwüstungen begannen erst mit den Plünderungen. Britische Soldaten, die sich zu dieser Zeit nahe dem
Campus neu formierten, sahen dem gewalttätigen Treiben tatenlos zu. Beteiligte Soldaten sagen heute, dass man nach dem Tod zweier Kameraden nicht noch einmal auf den Campus vorrücken wollte.
Niemand wusste zu dieser Zeit, wer die plündernden Massen waren und ob sie nicht nur als Falle für die britischen Truppen dienen sollten. Nawfal steht mit seiner Studententasche vor dem
Platz 3 C im Sprachlabor des Englischinstituts. Bis wenige Tage vor Kriegsbeginn hat er hier über einen Kopfhörer den Sprachkassetten gelauscht. Nach dem Signal-Ton sprach der 29-jährige das
Gehörte in ein Mikrophon. Machte er es gut, kam der nächste Satz. Kamen seine Worte brüchig, mischte sich sein Lehrer per Knopfdruck ein und verbesserte ihn. Die Bänder mit den Übungen von
Nawfal und seinen Kommilitonen liegen nun überall zwischen zerrissenen Büchern und reichlich Asche auf dem Boden des Instituts 1000 herum. Warum er nun schon zum zweiten Mal hierher kommt,
weiß Nafwal auch nicht recht. "Wir haben ja sonst nichts zu tun", versucht er sich in einer Erklärung, "nur schlafen kann ich nicht mehr." VERBRANNTE ERDE DER
SADDAM-GETREUEN? Der Student der Universität Basra kann bis heute nicht glauben, dass normale Iraker die Institute geplündert und verwüstet haben. "Ich erinnere mich an die letzte
Ansprache von Saddam Hussein in der er drohte, die USA würden den Irak nur als an einen Haufen Asche überlassen bekommen", sagt er. Genau das sei hier passiert. Deshalb müssten die
letzten Getreuen Saddams hinter dem Scheiterhaufen der Bücher und Bänder stehen, glaubt Nawfal. "Die Menschen hätten doch nur die für sie nützliche Dinge mitgenommen, doch nicht alles
verwüstet", sagt er und sucht weiter nach noch lesbaren Lehrbüchern. An den Wänden dieses Raumes ist zumindest noch die Farbe sichtbar. "We will love Saddam forever", steht
dort in leuchtendem Rot. Immer wieder kracht es laut in den Fluren der verschiedenen Institute. Zwei verwahrloste Jungen lösen mit einem Brecheisen alles Brennbare von den Wänden und dem
Boden und tragen es nach draußen. Einer von ihnen hat eine irakische Flagge bei sich und ein Saddam-Bild in der Gesäßtasche. Für die Sorgen der Studenten hat er kein Verständnis. "Bei
uns gibt es kein Gas und keinen Strom, was sollen wir machen", sagt er. Unter den Studenten herrscht gegenüber den Plünderern, die jetzt die letzten Reste der einstigen Universität
durchwühlen, Ratlosigkeit. Doch einschreiten wollen sie auch nicht. "Jedes dieser Kinder könnte eine Waffe haben, außerdem kommen sie so oder so wieder, wenn wir weg sind", sagt
Medizinstudent Ali und lässt die Jungen ihr Raubgut nach draußen tragen. VOM STUDIUM BLIEB NUR ASCHE Englischstudent Nawfal gehört trotz der traurigen Bilder aus der Universität zu den
Studenten, die ein bisschen mehr Glück gehabt haben als andere. Wenigstens die Papiere seiner Zwischenprüfung lagern zu Hause in einem sicheren Schrank. Der 28-jährige Jassim Mohammed sucht
seit zwei Tagen nach diesen Papieren - nach irgendetwas, was er wem auch immer später zeigen kann, wenn es wieder eine Universität gibt. Haufen nach Haufen wühlt er durch, blättert in
angesengten Akten. Zwischen den Papieren findet der Student immer wieder eines der unzähligen Bücher seines ehemaligen Präsidenten Saddam Hussein. Der Diktator hatte zu jedem erdenklichen
Thema seine eigenen Weisheiten niederschreiben und veröffentlichen lassen. "Wenigstens hätten sich die Plünderer die Mühe machen können, alle diese Bücher zu verbrennen", sagt
Jassim. In zwei Monaten hätte der junge Mann aus Basras Vorort Zubair seinen Abschluss gemacht und wäre mit einer schwarzen Robe vom Campus in sein Berufsleben gestartet. "Die letzten
Jahre hat der Wind fort getragen", sagt er resginiert. Wie Jassim geht es vielen der mehreren Tausend Studenten der Universität. Die Plünderer haben ihnen nicht nur ihre Lehrstühle
genommen, sondern auch ihre Chance auf eine aussichtsreiche Zukunft. "Ich kann mir keine Lösung vorstellen, ich habe selbst die Daten meiner eigenen Studenten nicht im Kopf", sagt
der Geschichtslehrer Jewed Kazem. RETTEN, WAS ZU RETTEN IST Gemeinsam mit einem guten Dutzend Studenten versucht Kazem erst mal zu retten, was noch verwertbar ist. Sie haben einen LKW
gemietet und bringen Stapel für Stapel die Bücher in Sicherheit, die das Feuer und die wütende Menge verschont haben. Erst einmal sollen die übrig gebliebenen Lehrbücher in die
al-Sadaq-Moschee nach Zubair gebracht werden. "Momentan sind die Moscheen der einzig sichere Ort", sagt der Lehrer Kazem. Für einen kleinen Kreis der Studenten will er vielleicht
schon bald dort Unterricht geben, damit sie wenigstens im Stoff bleiben. Kazem glaubt, dass die jungen Leute etwas zu tun brauchen. "In dieser Stadt gibt es zur Zeit nichts zu tun, da
kommt man schnell auf dumme Gedanken", glaubt er. Wie es für die Studenten in Basra weiter geht, weiß bisher keiner der Universitätsangestellten. Viele der Leiter haben sich erstmal um
ihre Familien zu kümmern. Die ersten kommen dieser Tage zurück in ihre Baracken am Rande des Campus und müssen diese aufräumen, denn auch hier haben die Plünderer zugeschlagen. "Auch im
neuen Council für den Wideraufbau gibt es bisher keinen Beauftragten für die Bildung", sagt einer der Lehrer, "die haben erstmal die Versorgung mit Wasser, Strom und Essen ganz
nach oben gestellt." Anfang nächster Woche soll zum ersten Mal in dem täglich stattfindenden Gremium über die Universität gesprochen werden. So Gott will, fügt der Lehrer hinzu.