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Aus einer Reithalle wird für mehrere Millionen Euro ein Hochsicherheitstrakt. Die Angeklagte findet dafür harte Worte. Am ersten Tag im neuen Saal sorgen zudem ein Gong und ein Küken für
Aufsehen. Für den neuen Sitzungssaal in einer umgebauten Reithalle am Stadtrand von Verden findet die angeklagte frühere RAF-Terroristin Daniela Klette deutliche Worte. „Ich war schon auf
einiges gefasst“, sagt sie am ersten Verhandlungstag in den neuen Räumlichkeiten. Doch diese Dimensionen habe sie sich nicht vorstellen können. „Welche Wahnsinnigen haben das zu
verantworten?“ MEHRERE MILLIONEN FÜR PROVISORISCHEN GERICHTSSAAL Das Landgericht Verden hat das großzügige Gelände für rund 3,6 Millionen Euro gemietet und umbauen lassen. Die Kosten für den
Umbau übernahm der Vermieter. Dass der Reithof eine neue Funktion hat, ist sichtbar. Sicherheitszäune, Stacheldraht und Sichtschutz sichern die Einfahrten, Kameras überwachen das Gelände,
zahlreiche Polizisten und Polizistinnen sind vor Ort. Im 800 Quadratmeter großen Gerichtssaal selbst erinnert einiges an den ursprünglichen Zweck des Gebäudes, etwa die Holzbande am Rand der
Halle und die hohe Decke. Es rieche nach Reithalle, sagen Besucherinnen. Der Bereich für das Publikum und die Presse ist durch eine Wand mit großen Glasfenstern abgetrennt. Über
Lautsprecher verfolgen sie, was die Prozessbeteiligten sagen. EIN GONG WIE IN DER SCHULE Die Angeklagte Klette sitzt mit ihren Anwälten an einem langen weißen Tisch. Zur Begrüßung von
Bekannten winkt sie ins Publikum. Anders als bei den vorangegangenen Terminen im Staatsschutzsaal des Oberlandesgerichts Celle ist sie nicht durch eine Glaswand abgeschirmt. Als zu Beginn
der Verhandlung ein lauter Gong und der Hinweis „Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein“ ertönt, lacht Klette. Der Gong erinnert manche im Publikum an Schulunterricht oder an eine Durchsage im
Bahnhof. Die frühere RAF-Terroristin steht seit rund zwei Monaten wegen einer Serie von Überfällen auf Supermärkte und Geldtransporter vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr
versuchten Mord, unerlaubten Waffenbesitz sowie versuchten und vollendeten schweren Raub vor. Gemeinsam mit ihren mutmaßlichen Komplizen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg soll sie mehr
als 2,7 Millionen Euro erbeutet haben. Klette wurde im Februar vergangenen Jahres in Berlin festgenommen, Staub und Garweg werden weiterhin gesucht. Die Verteidigung beantragt an diesem
Vormittag, dass die Verhandlung künftig in den Räumen des Landgerichts Verden geführt wird. Das Gericht sei zentral gelegen und besser erreichbar, argumentiert einer der Anwälte. Dort sei
genug Platz für die Nebenklage, die Medien und das Publikum. „Dieser Saal ist komplett überdimensioniert“, kritisiert die Verteidigung. Das Gebäude trage zur Vorverurteilung bei und erwecke
den Eindruck, dass von Klette eine konkrete Gefahr ausgehe. PLATZ FÜR WEITERE ANGEKLAGTE IM SAAL Die Anklagebehörde sieht das anders. „Ich bin ein optimistischer Mensch“, sagt die
Staatsanwältin. „Was ist, wenn ein zweiter Angeklagter dazu kommt?“, fragt sie mit Blick auf Klettes mutmaßliche Komplizen Staub und Garweg, nach denen gefahndet wird. Eine zweite, noch
verlassene Anklagebank steht bereits im Raum. Manche Anwohner sind unsicher, ob es richtig ist, so viel Geld für einen vorübergehenden Verhandlungsort zu zahlen. „Ich kenne Leute, die haben
bei den Umbauarbeiten mitgemacht. Was da alles umgebaut wurde, ist schon eine Menge“, erzählt der 28-jährige Paul, der gerade mit seinem Hund spazieren geht. „Das hätte bestimmt auch
günstiger gemacht werden können“, sagt er mit Blick auf die hohen Kosten. Er frage sich schon, ob Steuergelder verschwendet werden. So ein großer Prozess bei ihm in der Nachbarschaft findet
der Anwohner spannend. Dass die Polizei deshalb auch in der Nähe seiner Wohnung umherfährt, sei in Ordnung. „Es ist schon anders, aber ich mache mir eigentlich keine Sorgen“, sagt er. Die
Umgestaltung des seit Jahren leerstehenden Geländes hat ihm zufolge auch Gutes. „Immerhin hat es jetzt einen Zweck.“ ATTRAKTION FÜR BESUCHER DER GEGEND? Andere Menschen aus der nahen
Umgebung sind neugierig, welche Veränderungen der Prozess gegen eine der jahrelang meistgesuchten Frauen Deutschlands mit sich bringen wird. „Vielleicht profitiere ich da auch von“, überlegt
Lieselotte Heemsoth, die mit ihrer Familie einen Landgasthof, eine Pension und einen Reitstall betreibt. Möglicherweise sei diese besondere Gerichtsverhandlung für manche Gäste eine
zusätzliche Attraktion, erklärt sie. Heemsoth möchte selbst irgendwann in den neuen Verhandlungsraum. „Wenn es schon in der Nachbarschaft ist, sollte man es auch besuchen“, sagt sie. Andere
Passanten zeigen kein näheres Interesse an dem ungewöhnlichen Gerichtssaal. „Das ist mir egal“, sagt ein Fahrradfahrer, der kurz am schwer bewachten Eingang anhält. PIEPENDES KÜKEN IM
ZUSCHAUERBEREICH In der umgebauten Reithalle mit moderner Licht- und Technikanlage werden an diesem Vormittag zwei Beamte als Zeugen befragt. Die Akustik in dem großen Raum ist
herausfordernd. „Wir haben ein massives Problem, Sie zu verstehen“, sagt ein Verteidiger zum Vorsitzenden Richter. „Es hallt enorm.“ Auch im Zuschauerraum sind die Worte der
Prozessbeteiligten und Zeugen mitunter schwer zu verstehen. Das liegt aber nicht nur an der Technik, sondern auch an sehr lautem Vogelgezwitscher. Irgendwann wird das Piepen noch lauter und
der Grund deutlich: Ein kleines flauschiges Küken sitzt auf der Bande und macht lautstark und hüpfend auf sich aufmerksam. Offensichtlich ist es aus einem Nest gefallen. Justizbeamte bringen
den kleinen Piepmatz ins Freie. Auch dieser Vorfall macht deutlich, dass es ein ungewöhnlicher Verhandlungsort ist: Im Gericht sind Vögel selten, in Reithallen nicht. Denn mit Balken,
Vorsprüngen und einer speziellen Dachkonstruktion bieten sie gute Nistmöglichkeiten. © dpa-infocom, dpa:250528-930-600164/3 _Das ist eine Nachricht direkt aus dem dpa-Newskanal._