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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Hamburg
- Das tragische Ende des Malaysia-Airlines-Flugs MH17 gibt weiterhin Rätsel auf. Ein klares Motiv für den absichtlichen Abschuss der Zivilmaschine lässt sich derzeit kaum erkennen. War es
also ein Versehen? Darauf deutet einiges hin. Ein hochrangiger Nato-Offizier sagte SPIEGEL ONLINE am Freitag, es gebe mittlerweile Geheimdiensterkenntnisse, dass das Flugzeug mit einer
Rakete aus dem Bestand der russischen Armee abgeschossen wurde. Solche Systeme wurden laut dem Nato-Mann in den vergangenen Wochen vermutlich von russischer Seite an die Separatisten
geliefert. Trotz der Erkenntnis aber, so der Nato-Offizier, gebe es bis heute kein schlüssiges Motiv für die prorussischen Kräfte, ein ziviles Flugzeug anzugreifen. Deswegen müsse man von
einem "tragischen Versehen" der Separatisten ausgehen. Fotostrecke Absturz von Malaysia Airlines MH17: Bedrohung durch Flugabwehrwaffen Foto: Yuri Kochetkov/ dpa Ähnliches lassen
die technischen Details des Buk-Abwehrsystems vermuten, mit dem die Boeing 777 mit fast 300 Menschen an Bord abgeschossen worden sein soll. Es handelt sich um ein kompliziertes und
anspruchsvoll zu bedienendes System. Laut öffentlich verfügbaren Informationen kann Buk je nach Version Flugzeuge in Höhen von 14 bis 25 Kilometern bekämpfen. Die rund fünfeinhalb Meter
langen Raketen verfügen über einen 60 bis 70 Kilogramm schweren sogenannten Fragmentations-Gefechtskopf, der von einem Radar-Näherungszünder ausgelöst wird. Er explodiert in unmittelbarer
Nähe des Flugzeugs und durchlöchert es. Die Abwehrstellung kann zivile Flugzeuge normalerweise mithilfe der sogenannten Freund-Feind-Erkennung, auch bekannt als IFF (Identification Friend or
Foe), erkennen. "Jedes zivile Linienflugzeug hat einen IFF-Transponder", sagt Karl-Josef Dahlem, Chefberater für Luftverteidigungssysteme beim europäischen Rüstungskonzern MBDA.
Das System funktioniert folgendermaßen: Wird ein Flugzeug per Radar erfasst, bekommt es vom Abfragegerät am Boden - einem sogenannten Sekundärradar, das auch bei militärischen Radaren
vorhanden ist - eine Anfrage. Das Flugzeug antwortet mit einem Sicherheitscode, der ihm zuvor von der Flugsicherung zugewiesen wurde. Stimmt der Code und folgt das Flugzeug dem der
Flugsicherung bekannten Kurs, ist es als zivil zu identifizieren. Sendet es keine Antwort, darf es aber nicht direkt als Feind bestimmt werden - insbesondere wenn sein Kurs zum Flugplan
passt. "Bevor eine Bekämpfung eingeleitet werden darf, muss durch das Flugverhalten des Flugzeugs klar ersichtlich sein, dass es sich um ein gegnerisches Militärflugzeug handelt",
erklärt Dahlem. "Die zivilen Flugsicherungen in Russland und in der Ukraine kannten mit Sicherheit den Code von Flug MH17", so der Experte. "Ohne diesen Code dürften solche
Flugzeuge überhaupt nicht in den kontrollierten Luftraum einfliegen." In Deutschland etwa steige sofort die Alarmrotte mit zwei "Eurofighter"-Kampfjets auf, wenn ein Flugzeug
in den Luftraum eindringt, das keinen oder einen falschen Identifizierungscode sendet. Fotostrecke Absturz von Malaysia Airlines MH17: Trümmer, Opfer, Folgen Foto: MAXIM ZMEYEV/ REUTERS Auch
das Buk-Flugabwehrsystem, mit dem die Boeing 777 abgeschossen worden sein soll, verfügt über eine IFF-Anlage. "Offen ist, ob die Bediener mit dem Code des Flugzeugs etwas anfangen
konnten oder ihn überhaupt von der zivilen Flugsicherung erhalten haben", sagt Dahlem. Allerdings: Selbst ohne IFF-Antwort hätte es für die Buk-Mannschaft deutliche Anzeichen gegeben,
dass es sich um eine zivile Maschine handelte. "Ein Ziel, das in zehn bis elf Kilometern Höhe fliegt, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Zivilflugzeug", erklärt Dahlem.
Militärische Transportflugzeuge würden sich meist nicht in solcher Höhe aufhalten, zumal dann, wenn sie nur relativ kurze Distanzen flögen. Zudem vergingen zwischen dem Abfeuern der Rakete
und ihrem Auftreffen im Ziel bis zu 30 Sekunden, in denen jederzeit ein Abbruch durch die Selbstzerstörung der Rakete möglich ist. Ein Unfall durch einen Bedienungsfehler sei deshalb
unwahrscheinlich, meint Dahlem. "Auch wenn es sich um einen Irrtum handelte: Der Verlauf war bis zum Einschlag so gewollt." Die Frage ist, wie gut die Buk-Mannschaft ausgebildet
war. Denn für die Bedienung eines solchen Flugabwehrsystems ist eine aufwendige Ausbildung notwendig. "Das sind in der Regel mehrwöchige Theoriekurse, gefolgt von Praxistraining",
so Dahlem. Zudem enthält eine komplette Abwehrstellung ein Fahrzeug mit Überwachungsradar, eines mit der Kommandozentrale sowie mehrere Fahrzeuge mit Feuerleitradar und Abschussanlagen für
jeweils vier Raketen. "Insgesamt sind dafür rund 20 Mann notwendig", sagt Dahlem. Dass allerdings auch gut ausgebildeten Soldaten tödliche Fehler unterlaufen können, zeigt die
Tragödie um Iran Air 655. Im Juli 1988 schoss der US-Raketenkreuzer "USS Vincennes" den Airbus A300 der iranischen Fluglinie ab, 290 Menschen starben. Das Flugzeug hatte den
richtigen IFF-Code gesendet, die Amerikaner verwechselten ihn jedoch mit dem Schlüssel für iranische Militärmaschinen. NATO-GENERAL WARNTE SCHON ENDE JUNI VOR FLUGABWEHRRAKETEN Bei der Nato
ist man nicht wirklich überrascht, dass die Separatisten der Ostukraine über Raketensysteme verfügen, die auch gegen Verkehrsmaschinen eingesetzt werden können. Demnach beobachtete die
Allianz, die seit Monaten ihre elektronischen Augen auf die Ostukraine richtet, dass die Rebellen von russischer Seite mit Boden-Luft-Raketen ausgestattet wurden. Fast unbemerkt von der
Öffentlichkeit berichtete der oberste Nato-Militär, US-General Philip Breedlove, bereits Ende Juni über die Erkenntnisse. Im Pentagon erklärte er Reportern detailliert, dass Russland
Separatisten auf der russischen Seite der Grenze an auf Lastwagen montierten Flugabwehrsystemen trainiere und diese Raketenbatterien später auf die ukrainische Seite gefahren würden. Schon
damals warnte er, dass diese Technik eine größere Reichweite habe als tragbare Flugabwehrraketen, sogenannte Manpads. "Wir sehen, dass östlich der Grenze Ausbildung an schwerer
Ausrüstung, an Panzern, gepanzerten Truppentransportern und Flugabwehrsystemen stattfindet", sagte Breedlove. "Und jetzt sehen wir, dass diese Fähigkeiten westlich der Grenze
eingesetzt werden." Die Mannschaft und die Passagiere an Bord der Boeing 777 waren chancenlos. "Es gibt kein Warnsystem an Bord eines zivilen Airliners, das vor einer anfliegenden
Rakete warnen würde", so Dahlem. "Und die Möglichkeit zum Ausweichen ist für ein so träges Flugzeug gleich null." VERFOLGEN SIE DIE WEITEREN EREIGNISSE IM LIVETICKER HIER.