Freihandel: jurist klaus sachs über umstrittene schiedsgerichte

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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Am


Mittwoch wirbt Barack Obama beim Treffen mit EU-Vertretern in Brüssel für das transatlantische Freihandelsabkommen, kurz TTIP. So gewinnend der US-Präsident dabei auch auftreten mag: Viele


Gegner des Abkommens wird er nicht überzeugen. Die größte Bedrohung durch TTIP sehen sie nicht in der Politik - sondern in Juristen, die weitgehend im Verborgenen wirken. Klaus Sachs ist


einer dieser Juristen. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren an privaten Schiedsgerichten, vor denen Staaten von ausländischen Konzernen verklagt werden können. Möglich wird das durch


sogenannte Investitionsschutzabkommen, die bislang auch Teil von TTIP sind. Sehen Unternehmen durch politische Entscheidungen ihre Gewinne geschmälert, so können sie die Schiedsgerichte


anrufen. So klagt der schwedische Energiekonzern Vattenfall derzeit gegen Deutschland wegen des Atomausstiegs, der US-Tabakriese Philip Morris gegen drastische Warnungen auf australischen


Zigarettenpackungen. Wieso aber sollte demokratische Staaten sich Richtern außerhalb ihres Justizsystems unterwerfen? Wie kommen die Urteile zustande? Und wieso werden sie so oft


geheimgehalten? SPIEGEL ONLINE: Herr Sachs, Sie sitzen seit mehr als 25 Jahren in Schiedsgerichten wie dem Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) bei der


Weltbank. Dort können Konzerne hinter verschlossenen Türen Staaten verklagen. Auf welcher Seite stehen Sie? SACHS: Ich bin als Richter schon sowohl von Unternehmen als auch von Staaten


berufen worden - etwa von Polen. Meist war ich aber der dritte Richter, den beide Seiten gemeinsam bestimmen oder das ICSID beruft. SPIEGEL ONLINE: Damit können Sie das Verfahren


entscheiden, oder? SACHS: Ja. Es gibt bei Prozessen zwischen Staaten und Unternehmen seltener einstimmige Urteile als bei Verfahren zwischen zwei Unternehmen. Das liegt daran, dass es immer


um politische Fragen geht, bei denen man leicht anderer Meinung sein kann. KLAUS SACHS, 62, ist Anwalt bei der Kanzlei CMS Hasche Sigle und Lehrbeauftragter für Schiedsgerichtsbarkeit an der


Uni München. Er gehört zu nur acht von Deutschland benannten Richtern für das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) bei der Weltbank. SPIEGEL ONLINE:


Doch am Ende müssen sich alle dem Urteil beugen. Wieso wird es häufig nicht einmal veröffentlicht? SACHS: Weil mindestens eine Seite Einspruch einlegt. Das sind übrigens häufiger die Staaten


als Unternehmen. SPIEGEL ONLINE: Wieso? SACHS: Weil manche Länder dabei als unsicherer Standort für Investoren erscheinen. Um die Investitionssicherheit zu erhöhen, wurden die


Schiedsgerichte ja eingerichtet. Deutschland war dabei als Exportnation ein Pionier, das erste Abkommen haben wir 1959 mit Pakistan geschlossen. SPIEGEL ONLINE: Dabei ging es aber um labile


Länder ohne unabhängige Justiz. Wozu sollten sich hochentwickelte Rechtsstaaten privaten Gerichten unterwerfen? SACHS: Nicht jeder US-Investor findet es attraktiv, vor einem Gericht in


Palermo oder Bukarest klagen zu müssen. Umgekehrt ist es für europäische Unternehmen oft sehr teuer und langwierig, in den USA zu prozessieren. Bei Schiedsgerichten geht es deutlich


schneller. SPIEGEL ONLINE: In der EU aber ist der Widerstand gegen die Schiedsgerichte enorm. Deshalb wurden die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA in diesem Punkt für


drei Monate ausgesetzt. SACHS: Ich halte das für vernünftig, jetzt kann man über Verbesserungen nachdenken. Die EU hat ja schon angekündigt, dass vor den Schiedsgerichten auch


Nichtregierungsorganisationen angehört werden könnten. SPIEGEL ONLINE: In Ecuador wurde dem US-Ölriesen Oxy eine Entschädigung von fast zwei Milliarden Dollar zugesprochen - obwohl er nach


Ansicht der Regierung rechtswidrig gehandelt hatte. Was bringt es, wenn Greenpeace angehört wird, und am Ende gewinnt trotzdem der Konzern? SACHS: Andere Ölkonzerne sind vor Schiedsgerichten


auch schon ganz schön auf die Nase gefallen. Aber wenn ein südamerikanischer Staat von heute auf morgen Unternehmen enteignet, ist das Schiedsgericht für Investoren der einzige Schutz.


SPIEGEL ONLINE: Früher wurden vor allem Entwicklungsländer von westlichen Konzernen verklagt, jetzt treffen die Prozesse zunehmend Industriestaaten. Merken wir erst jetzt, was


Schiedsgerichte wirklich bedeuten? SACHS: Da ist was dran. Das zeigt ja auch die Empörung über die Entscheidung von Vattenfall, gegen den Atomausstieg zu klagen. Wenn Deutschland meint, es


müsse die Laufzeit von Atomkraftwerken innerhalb eines Jahres erst verlängern und dann verkürzen, dann stellt sich die Frage, ob das nicht auf eine Enteignung hinausläuft. SPIEGEL ONLINE:


Aber solche politischen Entscheidungen müssen doch die Sache des Staates bleiben. SACHS: Natürlich. Aber er darf dabei nicht willkürlich vorgehen und muss notfalls entschädigen. Das fordern


ja auch RWE und E.on. SPIEGEL ONLINE: Die müssen aber ganz normal vors Bundesverfassungsgericht ziehen, weil sie als einheimische Konzerne kein Schiedsgericht nutzen können. SACHS: Für


ausländische Konzerne wie Vattenfall haben wir nun mal Verträge abgeschlossen, an die wir uns halten müssen. SPIEGEL ONLINE: Wir könnten es auch machen wie Australien. Das schließt keine


Investitionsschutzabkommen mehr ab, seitdem es vom Tabakkonzern Philipp Morris wegen seiner strengen Anti-Tabak-Gesetze verklagt wurde. SACHS: Das ist eine Möglichkeit. Auch Brasilien hat


bis heute kein Abkommen geschlossen und zieht trotzdem Investoren an. SPIEGEL ONLINE: Würden Sie bei den Schiedsgerichten also gar nichts ändern? SACHS: Doch, das System ist keinesfalls


perfekt. Zum einen sind die Entscheidungen uneinheitlich, weil die Investitionsschutzverträge oft schwammig formuliert sind. Zum anderen werden zu viele Klagen eingereicht, die eigentlich


nicht Aufgabe der Gerichte wären. SPIEGEL ONLINE: Es gibt sogar Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf Schiedsgerichten aufbaut. Die finanzieren dann etwa Klagen gegen die Umschuldung


europäischer Krisenländer - obwohl die Investoren deren Anleihen erst in der Krise gekauft haben. SACHS: Ja, da ist ein Business entstanden. Aber so etwas gibt es nicht nur bei


Schiedsgerichten. Schauen Sie nur mal im Internet, was sonst noch alles an Prozessfinanzierung angeboten wird. SPIEGEL ONLINE: Es gibt noch etwas, das Schiedsgerichte verdächtig macht: Vor


ihnen können nur Konzerne die Staaten verklagen - nicht umgekehrt. SACHS: Das stimmt, der Staat ist immer der Beklagte, und es gibt für ihn keine Möglichkeit, die Entscheidung des Gerichts


anzufechten. Ich hoffe, dass man beides bei einem Abkommen zwischen USA und EU ändert. Man sollte Umwelt- und Verbraucherschutz ausklammern und sich auf reine Wirtschaftsfragen


konzentrieren. Und auch Unternehmen sollten von Staaten über eine sogenannte Widerklage belangt werden können, wenn sie bei ihren Investitionen selbst gegen Gesetze verstoßen haben. Wir


brauchen mehr Waffengleichheit zwischen Staat und Konzernen.