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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Wie
immer peilte Werner Hackmann ziemlich schnell die Lage. Am Freitag hatten Anhänger bei den Zweitliga-Spielen in Aue, Essen und Aachen randaliert, tags darauf präsentierte der Präsident der
Deutschen Fußball-Liga (DFL) bereits eine fundierte Analyse: "Es ist offensichtlich so, dass es sich hier um ein Problem der zweiten Liga und der Regionalliga handelt.
Fan-Ausschreitungen sind in der ersten Liga fast kein Thema mehr." Womit die Bundesliga und Werner Hackmann eigentlich Glück hätten. Besser: Glück gehabt hätten. Denn die vorschnelle
Analyse des Liga-Präsidenten verriet lediglich, dass Hackmann die Kunst des Beschwichtigens vortrefflich beherrscht, mit den Fakten hat sie hingegen wenig bis nichts zu tun. Die Gewalt
tatsächlich nur ein Problem der unteren Ligen? Erst vergangenes Wochenende nahmen deutsche Randalierer das Petrol-Stadion im slowenischen Celje auseinander, eine Woche zuvor prügelten sich
Bochumer Anhänger untereinander. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Dass Hackmann dennoch die Bundesliga als sportlichen Kirchentag verkauft, hat gute Gründe. Denn nichts kann die DFL
derzeit weniger gebrauchen, als ein weiteres Schlechte-Laune-Thema nach all den Wochen voller Schlagzeilen um bestochene Schiedsrichter und klamme Dortmunder. Schließlich ist in einem guten
Jahr Weltmeisterschaft und es soll doch bitte schön nicht der Eindruck entstehen, es erwarte die Gäste aus aller Welt eine Horde grimmiger Rüpel. Also wiegelt Hackmann routiniert ab und
präsentiert parallel gut abgehangene Binsenweisheiten: "Ohne Repressionen geht es offenbar nicht mehr", sagte Hackmann, "auch wenn die Fans die DFL und den DFB dafür immer
verurteilen." Ganz so, als seien die Fans bislang an den Stadiontoren mit Sonnenblumen empfangen worden, als würden nicht schon heute reihenweise Stadionverbote erteilt, als seien nicht
bereits jetzt in jedem Bundesliga-Stadion Dutzende Kameras nur zur Überwachung der Zuschauer installiert, und als existiere nicht schon heute eine opulente Kartei mit den Namen von rund
6000 tatsächlichen und vermeintlichen Gewalttätern. So viel Chuzpe ist bemerkenswert. Zumal sich Hackmann mit seinem Parteifreund und Innenminister Otto Schily über die Rezeptur zur
Bekämpfung der Fußball-Krawalle einig scheint: Noch mehr polizeiliche Überwachung soll es richten, jetzt erst recht. "Bund und Länder werden alle rechtlichen Möglichkeiten voll
ausschöpfen", trompetete Schily gestern und kündigte schon mal für den Frühsommer 2006 an: "Um Krawalle zu verhindern, werden Hooligans aus dem Stadion und aus den Innenstädten
fern gehalten." Allzu oft gehörte Einlassungen, die vor allem eines zeigen: wie wenig und wie oberflächlich Schily sich mit dem Wesen der Fußballgewalt auseinander gesetzt hat. Denn nur
selten sind die Hooligans die eigentliche Gefahr. Ihre Zahl ist letztlich übersichtlich und ihre Aktivitäten durch stimmige Sicherheitskonzepte beherrschbar. Zur Bedrohung werden die
Gewalttäter nur durch die Resonanz, die sie in den Kurven, bei den normalen Fans erzeugen. Erst Mitläufer und stille Sympathisanten machen Hooligans zur wirklichen Bedrohung. Und weil das so
ist, könnten sich Schilys und Hackmanns aktionistische Ankündigungen von noch mehr Repression, von noch mehr Kontrolle als fatal erweisen. Denn in den Fanblöcken herrscht derzeit eine
durchaus brisante Stimmungslage. Sie wird gespeist vom unguten Gefühl vieler Anhänger, beim Stadionbesuch immer stärker reglementiert zu werden. Im Bestreben, den Fußball zu einem
familienfreundlichen Event zu machen, wurden in den letzten Jahren die Freiräume, die Fans seit jeher im Stadion für sich im Stadion beanspruchen, rigide beschnitten. So verhindert brüllend
laute Musik jedes Gesangsduell vor dem Anpfiff, Auswärtsfans werden in Bonsaiblöcke gepfercht, sogar die Länge der Fahnenstangen ist vorgeschrieben. Auch diese Liste ließe sich fortsetzen.
Die Konsequenz: Je weniger sich die Anhänger in den Stadien daheim und verantwortlich fühlen, desto eher werden sie das Treiben der Hooligans tolerieren, werden sie sinnlose Zerstörung als
Protest gegen die Gängelung durch die Clubs und Ordnungshüter missdeuten. Weder die markigen Verlautbarungen des Otto Schily noch die Verdrängungskünste des Werner Hackmann werden die Gewalt
in den Stadien bezwingen. Die Fans mit ihren Bedürfnissen ernst zu nehmen, wäre hingegen ein Anfang. Auch in der zweiten und dritten Liga.