
- Select a language for the TTS:
- Deutsch Female
- Deutsch Male
- Language selected: (auto detect) - DE
Play all audios:
Seit Jahren verzückt ein Künstler die Heusenstammer mit seinen geschnitzten Figuren im städtischen Forst. Seine Werke sind für jedermann sichtbar, sein Name jedoch ist unbekannt. Heusenstamm
– Die Pfade und Waldwege zwischen Heusenstamm und Hofgut Patershausen werden gut von Spaziergängern mit Kindern und Hunden frequentiert: Mühlweg und Patershäuser Weg, der Fahrweg nach
Rembrücken an Viehweiden entlang, der Weg über die Brücke vorbei an der ehemaligen Mühle Renigishausen, auch der durch tiefes Wasser unterbrochene Waldrandweg an der Bieber. Auf diesem
Parcours findet seit einiger Zeit ein Waldkunstpfad Zuspruch. Im Gegensatz zum Waldkunstpfad an Darmstadts Ludwigshöhe oder zur Poppenhausener Kunstmeile mit Rhönblick ist der Heusenstammer
Kunstweg inoffiziell, von der Stadt kaum beachtet, nicht ausgeschildert, aber von der Forstverwaltung geduldet. Wahrscheinlich gibt es keinen Organisator, wohl aber einen Freizeitkünstler,
der den von ihm geschaffenen Rundweg immer wieder neu bespielt. KÜNSTLER SCHNITZT TIERMOTIVE IN BÄUME DES HEUSENSTAMMER WALDES Von Beruf ist er Rettungssanitäter, ein freundlicher, junger
Mann, der Spaß und Talent im Umgang mit Kettensäge und Werkzeug offenbart. „Das ist seit zwei Jahren mein Hobby“, sagt er. Viele Spaziergänger haben ihn bei seiner Arbeit an Baumruinen und
Stümpfen beobachtet, erkennen sein Auto, mit dem er anfahren darf, nicht aber seinen Namen. Nicht selten bilden sich kleine Menschentrauben um den passionierten Holzgestalter, der nur mit
Vorhandenem arbeitet und bestenfalls Sägemehl hinterlässt – was dem Wald guttut. Zu Beginn widmete er sich in seinen Motiven vor allem der heimischen Tierwelt: Eulen und Raubvögeln,
Waschbären, Eichhörnchen und Nagern. Dazwischen sägte und schnitzte er märchenhafte Gestalten und Mischwesen, von denen viele nicht mehr zu sehen sind. Das liegt nicht an Verwitterung oder
am Naturkreislauf, den der Künstler einbezieht. Viele der nicht aus festem Stamm gesägten, sondern auf Holzklötzen und Scheiben, mit langen Nägeln und Schrauben montierten Figuren sind
„verschwunden“, 40 an der Zahl. Das kann man Diebstahl nennen; man dürfte in Schuppen, Hinterhof oder Garten in der Region fündig werden. HEUSENSTAMMER KÜNSTLER MALT FIGUREN AN Der
einzelgängerische Bildhauer, der nicht bekannt werden möchte, grämt sich nicht darüber. So hat er noch mehr Motivation für neue Figuren, die er zuweilen in ein, zwei Stunden herausschält.
Hinter dem ehemaligen Arbeiterhaus ist zu sehen, was ihn verstärkt beschäftigt: Menschliche, zuweilen mystische Figuren, fast in Menschengröße. Eine Skulptur, deren zu Berge stehende Haare
farbig hervorgehoben sind, könnte aus germanischer Zeit stammen, aber einiges ist an ihr zu modern. Der Künstler verzettelt sich nicht in Einzelheiten, kommt zum Wesentlichen, hat aber Sinn
für Verzierung. Wenige Meter weiter steht ein Waldschrat im Gebüsch, traditionell geformt, Volkskunst im besten Sinne. Dazu entsteht jetzt eine weitere Figur. Keineswegs wendet sich die
Kunst nur an Erwachsene. Kinder finden Interessantes, Hunde schnuppern gern an Frischgesägtem. Wohlkalkuliert hat der Waldkünstler den Zustand des Forsts genutzt und Figuren mitten in tiefes
Wasser gestellt: einen Schwan mit blauem Gefieder, einen sich im Mühlweiher spiegelnden Reiher, dazu Gespenstisches, aber auch putzige Bärengesichter. Von dieser Figurenwelt fühlt sich
lebendes Getier angezogen, wie Eichhörnchen und andere Nager. HEUSENSTAMMER KÜNSTLER ZIEHT MIT SEINEN FIGUREN VIELE BLICKE AUF SICH Mit Fernblick auf das Hofgut Patershausen lassen sich
Wanderer und Radler gern auf den Bänken nahe der Bieber nieder. Dort zieht ein großer Baumgeist die Blicke auf sich. Keineswegs aus der Reihe fallen eine hölzerne Umhängetasche, ein
Holzbildschirm mit merkwürdigen Gestalten auf der Mattscheibe oder ein schief montiertes Relief zu Edvard Munchs berühmtem Gemälde „Der Schrei“. Solche Figuren wollen gar nicht der letzte
Schrei sein, der oft Kommerzkunst in Galerien dominiert. Beim Heusenstammer Weg macht es die Mischung aus Tradition, Märchen- und Gespensterwelt, dargeboten in modernen wie alten Formen. Wer
so etwas kaufen möchte, muss sich freilich Mühe geben: Der umgängliche Ideengeber ist immer mal auf seinem Waldkunstpfad anzutreffen. Also beim Spaziergang Augen offenhalten! (von Reinhold
Gries)