Schwierige geschichte: knochen und skelette aus der kolonialzeit in münchner museen

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Als Deutschland Kolonien hatte, schwärmten unzählige Forscher aus: Sie raubten nicht nur Kunst und Schmuck von Ureinwohnern. Sondern auch menschliche Körperteile: Schädel, Skelette, Mumien.


Zwei Münchner Sammlungen fragen sich nun: Was tun mit diesen Hinterlassenschaften? München – Im ersten Stock der Anthropologischen Staatssammlung am Münchner Karolinenplatz sitzt Direktor


Albert Zink an einem Besprechungstisch. Er nimmt sich viel Zeit, das Thema ist wichtig, sagt er. Es sei „lange beiseitegeschoben“ worden. Und dass man sich bemühen werde, sensible Funde „aus


kolonialen Kontexten“ zurückzugeben. „Wir müssen da von uns aus tätig werden, dürfen nicht warten, bis jemand etwas fordert“, betont Zink. 60 000 menschliche Skelette sind in der


Anthropologische Staatssammlung verwahrt. Immer wenn in Bayern eine archäologische Grabung stattfindet, landen gefundene Knochen im Depot der Sammlung in Aschheim-Dornach. Die ältesten


stammen aus der Jungsteinzeit. Bayerische Knochen – aber nicht nur. Seit Kurzem hat die Staatssammlung erstmals ein Inventar zu „,menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten“


erarbeitet. Der Anstoß dazu kam von der Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder. 33 Einrichtungen in Deutschland haben ihre Bestände durchforstet – sie fanden etwa 17 000 menschliche


Überreste, der englische Fachbegriff ist „human remains“. In München meldete neben der Anthropologischen Staatssammlung auch das Museum Fünf Kontinente, das frühere Völkerkundemuseum,


problematische Funde. Im Auftrag der Staatssammlung hat der Historiker Holger Stoecker vom Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Uni Göttingen die Bestände gesichtet. Der größte


Teil der Sammlung sei 1944 durch Bombentreffer vernichtet worden, berichtet Stoecker. Dennoch gibt es eine Vielzahl kolonialer Relikte. Am ältesten ist das Skelett eines Homo sapiens, circa


20 000 Jahre alt, das 1913 in der Oldoway-Schlucht im Norden der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) von einem deutschen Geologen ausgegraben und nach Deutschland geschafft


wurde. Der sogenannte OH1 (Oldoway Hominid 1) ist „ein unglaublich wichtiger Fund für die gesamte menschliche Evolution“, sagt Sammlungs-Leiter Zink. In der Sammlung fand Stoecker auch den


Schädel eines Navajo, der 1980 aus der Zoologischen (!) Sammlung übernommen wurde. Der Schädel wurde wohl um 1850 geraubt, als die damalige US-Regierung das Navajo-Gebiet annektierte. Auch


hier, sagt Zink, „muss es unser Ziel sein, das zurückzugeben“. Eine Kontaktaufnahme zu heutigen Navajos erfolgte allerdings noch nicht. Man brauche Zeit, sagt Zink. CHINESEN IM BOXERKRIEG


WURDEN HINGERICHTET - DANN NACH MÜNCHEN GESCHICKT Noch krasser klingt die Herkunfts-Geschichte von zehn Gesichtsabformungen aus China. Gesichtsabformungen sind aus einer Art Kunststoff, für


die heutige Wissenschaft sind sie wertlos. Sie stammen von Chinesen, die während des sogenannten Boxerkriegs 1899 bis 1901 von der deutschen Kolonialarmee hingerichtet wurden. „Die Köpfe


wurden nach München geschickt und dort zu Präparaten verarbeitet“, schreibt Stoecker in einer Stellungnahme für unsere Zeitung. Davon wurden dann die Abformungen gemacht. Unzählige Forscher


und Privatgelehrte rafften in den Kolonien an sich, was sie kriegen konnten. Eine davon war die oft unkritisch als starke Wittelsbacherin gefeierte Therese von Bayern (1850-1925), die mit


zwei Mumien im Gepäck von einer Reise aus Südamerika zurückkam. Sie stammen aus der Inkazeit und befinden sich heute in der Archäologischen Staatssammlung, die sich nicht an der KMK-Umfrage


beteiligt hatte. Die Geschichte von 42 Abformungen namibischer Menschen reicht bis in die NS-Zeit zurück. Der deutsche Bildhauer und völkerkundliche Autodidakt Hans Lichtenecker fertigte sie


in den 1930er-Jahren an. Lichtenecker war unterwegs, um ein „Archiv aussterbender Rassen“ anzulegen. Der Forscher schmierte Gipsmasse auf die Gesichter der Afrikaner von den Stämmen der


Nama, Herero und San, ohne diese zu fragen, also „in Zwangssituationen“, wie Stoecker schreibt. Lichtenecker wandelte hier auf Spuren, die Eugen Fischer, ein NS-belasteter sogenannter


Rassenhygieniker, mit Forschungen zu „Rassenkreuzungen“ im damaligen Deutsch-Südwestafrika 1908 gelegt hatte. Der rassenbiologische Hintergrund der Forschungen bestürze ihn, sagt


Sammlungs-Leiter Zink. Auch hier stelle sich die Frage, ob Namibia diese Abformungen bekommen soll. Bisher gibt es keine Anfragen. AUCH IN KRIEGSGEFANGENENLAGERN DES 1. WELTKRIEGS WURDE NACH


OPFER GESUCHT Die Sammelwut rassistischer Forscher ist aber auch noch für die Zeit des Ersten Weltkriegs dokumentiert. Sie schwärmten wohl in Kriegsgefangenenlager aus: Es gebe Abformungen


von Afrikanern, bei denen „der Verdacht“ bestehe, „dass sie von Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg stammen, die als Soldaten der französischen Kolonialarmee in deutschen


Kriegsgefangenenlagern interniert waren“, schreibt Stoecker. Zudem gibt es 21 Gipsabformungen, die wohl aus österreichischen Kriegsgefangenenlagern stammen. Auch das Museum Fünf Kontinente


hortet problematisches Sammelgut. Dort werden etwa 75 Mumien und Mumienteile aus dem präkolumbischen Süd- und Mittelamerika sowie aus Südostasien verwahrt. Auch 140 Schädel und Skelettteile


stammen aus der Zeit des 18. bis 20. Jahrhunderts, 40 Prozent sind aus den ehemaligen deutschen Kolonialgebieten nach München geschafft worden. Es handele sich fast ausschließlich um


„kulturell bearbeitete menschliche Überreste“, berichtet Clarissa Bluhm von der Pressestelle des Museums. Aus Respekt vor den Toten würden sie nicht öffentlich gezeigt. Was tun mit diesen


Relikten? Zink leitet die Staatssammlung nur kommissarisch. Er ist eigentlich Chef des Südtiroler Archäologiemuseums in Bozen, das den Ötzi beherbergt und auch ausstellt. Es gibt heute auch


Stimmen, die das aus Pietätsgründen ablehnen. Bei den menschlichen Überresten aus der Kolonialzeit ist der Fall klar: Ausstellen kommt nicht infrage, betonen alle Seiten. Als


„Sofortmaßnahme“ hat Zink angeordnet, alle Kolonial-Relikte separat zu verwahren. Bis dann entschieden wird, was mit ihnen geschieht. Bisher ist es erst einmal gelungen, eine solche


Hinterlassenschaft zurückzugeben: 2019 wurde vom Museum Fünf Kontinente der mumifizierte Leichnam eines indigenen Australiers an seine Nachkommen zurückgegeben. Derzeit gebe es keine


weiteren Rückgabeforderungen, berichtet die Sprecherin.