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Der belgische Künstler Francis Alÿs hat Kinder beim Gummitwist, Seilspringen und Drachensteigen auf der ganzen Welt gefilmt und erzählt damit viel über ihr Leben. Von Dorothea Zwirner
Drachensteigen in Afghanistan, Seilspringen in Hongkong, Schneespiele in der Schweiz, Knobeln in Mexiko, Gummitwist in Paris, Bockspringen im Irak, Sich-auf-der-Stelle-Drehen im Kongo. Man
kann sich gar nicht losreißen von den Videoarbeiten der Serie „Children’s Games“, mit der Francis Alÿs seit über 25 Jahren spielende Kinder auf der ganzen Welt dokumentiert. Dreißig seiner
Filme sind jetzt auf großen Leinwänden im Ludwig Museum in Köln zu sehen, die von seinen kleinformatigen Bildern und tagebuchartigen Skizzen ergänzt werden. Und nicht nur das. Aus dem
Langzeitprojekt _über_ Kinderspiele, mit dem der in Mexiko lebende belgische Künstler internationale Berühmtheit erlangte, hat sich ein vorbildliches Outreach-Projekt _mit_ Kindern
entwickelt, das von Mitmach-Räumen bis zum selbst kuratierten Kindermuseum reicht. Doch zunächst ist der abgedunkelte Ausstellungsraum ganz erfüllt von den fröhlichen Stimmen der Kinder, die
sich selbstvergessen, ausgelassen oder hoch konzentriert ihren Spielen widmen. Empfohlener redaktioneller Inhalt An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten,
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Unbekümmertheit wirkt so ansteckend, dass sie jeden sofort zum Lächeln bringt, der auf seinem rollbaren Drehhocker den kurzen Spiel-Filmen zuschaut: dem kleinen Mädchen in Hongkong, das mit
seinem Schulrucksack durch die trubeligen Straßenschluchten hüpft nach der selbst auferlegten Spielregel, keine Linien des Straßenpflasters zu betreten; oder den drei Seil springenden
Mädchen, die vor den aufragenden Massenunterkünften der Megacity ihre Springseilsprünge zu einer synchronisierten Choreografie steigern. Dabei folgt die Kamera den Bewegungen nach allen
(Spiel-)Regeln der Kunst. Beim Knobeln in Mexiko erscheinen die Handgesten, die Schere, Stein oder Papier symbolisieren wie in einem konzeptuellen Film nur als Schattenspiel an der Wand. Bei
dem mitreißenden Film „La Roue“ wechselt die Kamera von der extremen Fernsicht auf eine winzige Gestalt im leuchtenden Trikot, die einen Autoreifen eine schwarze Abraumhalde im Kongo
hochschiebt, zur rasenden Kamerafahrt im Reifen, in dem der Junge den Hang hinabsaust. Mal lockt die Natur zum Spiel, wenn Kinder Sandburgen bauen, Schneeballschlachten oder Schneckenrennen
veranstalten. Mal sind Improvisation, Anpassung und Erfindungsgeist gefordert, wenn drei ukrainische Jungen mit selbstgebastelten Uniformen und MGs vorbeifahrende Autos kontrollieren, wobei
die Aussprache der geforderten Parole die jeweilige Herkunft verrät. Oder wenn eine Jungengruppe in Mossul das Fußball-Verbot des Islamischen Staats unterläuft, indem sie ihre Dribblings und
Ausweichmanöver, Pässe und Kopfbälle auch ohne Ball in eine vollendete Pantomime voller Anmut verwandelt. So offenbart die Werkgruppe „The Nature of the Game“, die 2022 auf der Biennale von
Venedig den belgischen Pavillon zum Publikumsliebling machte, ebenso viel über die Lebensumstände der Kinder wie über die Natur des Spiels. Sie zeigt, wie der Homo ludens im
selbstgenügsamen, zweckfreien und fantasievollen Spiel seine individuellen Eigenschaften entwickelt, Erfahrungen verarbeitet und seine Persönlichkeit entfaltet. Francis Alÿs nimmt Huizingers
Homo-ludens-Theorie „Vom Ursprung der Kultur im Spiel“ so ernst, dass er den Kindern die Führung überlässt: „Kids Take Over“. Zwei Kölner Schulklassen durften in den vergangenen eineinhalb
Jahren ihre Lieblingswerke aus dem Museum Ludwig auswählen, um ihr eigenes Kindermuseum im doppelgeschossigen Hauptraum einzurichten. Da tummeln sich Tierplastiken von Picasso und Co. in
einer selbst gestalteten Zoolandschaft. Da hängen Hauptwerke von Matisse bis Majerus, die mit Kommentaren und Handlungsvorschlägen in Sprechblasen versehen sind. Da steht ein Tisch mit
Tischdecke bereit, um das zweiteilige Werk von Francis Alÿs aus seinem frühen Schildermaler-Projekt nachzustellen, das 2023 anlässlich der Verleihung des Wolfgang-Hahn-Preises an den
Künstler vom Museum erworben wurde. Daneben laden Mitmach-Stationen zur kreativen Entfaltung ein. „Do it yourself“ lautet die Devise von Warhols gleichnamigem Ausmalbild, das Kinder zum
Entwickeln eigener Spiele animieren soll. Welches Spiel der neue Film mit Kölner Kindern dokumentiert, der ab Juli zu sehen sein wird, bleibt eine Überraschung. Bis ins kleinste Detail – von
den Wandtexten mit den signethaften Zeichnungen der Spiele bis zum Booklet für Kinder – vermittelt sich der heilige Ernst des Spiels als humanistische Maxime, wie sie in Schillers Briefen
über die ästhetische Erziehung des Menschen zur Sentenz wird: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“