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Gesang als Geschmacksverstärker: Mit seiner Countertenor-Stimme hat sich Johannes Pietsch den Sieg beim diesjährigen ESC ersungen. Kann das der Oper helfen? Eine Kolumne von Frederik Hanssen
Natürlich musste ich sofort an Richard Wagners „Fliegenden Holländer“ denken: Opernhaft inszeniert war der Auftritt von Johannes Pietsch alias „JJ“ beim Eurovision Song Contest am
vergangenen Samstag in Basel. Der 24-Jährige steht auf schwankenden Planken, umtost von Windmaschinen, ein Matrose in emotionaler Seenot. „Ich bin ein Ozean der Liebe und du hast Angst vor
Wasser“, mit diesen Worten beginnt „Wasted Love“, im Hintergrund flattert ein Segel, Bühnennebel spritzt auf wie Gischt. Aber es sind letztlich nicht die Bühneneffekte, denen der
österreichische ESC-Teilnehmer seinen Sieg verdankt – es ist seine Stimme. Die kann JJ nämlich in überraschende Höhen katapultieren. Denn er ist Countertenor. Sehr hell, fast kindlich klingt
sein Organ schon in der Strophe, im Refrain aber scheint sie förmlich zu explodieren, in Regionen, die normalerweise nur Sopranistinnen erreichen. Im 18. Jahrhundert wurden Knaben
kastriert, um auch nach dem Stimmbruch engelhaft weitersingen zu können, heutzutage reicht zum Glück eine spezielle Stimmtechnik. HAUPTSACHE, ES KNALLT Menschen, die zum ersten Mal einen
Countertenor erleben, sind oft überwältigt von der Diskrepanz zwischen Optik und Akustik. Beim ESC ließen sich sowohl die Fachjurys wie auch ein Großteil des Publikums derart beeindrucken,
dass Johannes Pietsch schließlich die Trophäe in die Luft recken konnte. Empfohlener redaktioneller Inhalt An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen
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mich ja für Opernpop wenig begeistern. Weil der kunstvoll-künstliche Gesang bei diesen Crossover-Songs fast immer missbraucht wird – als Glutamat nämlich, als vokaler Geschmacksverstärker.
Mit derselben Intention setzt beim ESC-Siegertitel in der letzten halben Minute dann auch noch wüstes Technogeballer ein. Haut einfach alle Stile zusammen, Hauptsache, es knallt. Liebe
JJ-Fans, hört euch zum Vergleich doch mal die Auftrittsarie des echten Fliegenden Holländers an. In „Die Frist ist um“ geht es auch um _wasted love_, aber so viel spannender, weil
psychologisch vielschichtiger. Wie Wagner die Seele seines Protagonisten ausleuchtet, wie er ihn zwischen Wut und Wehmut, Verzweiflung und Hoffnung schwanken lässt, das berührt unmittelbar,
dazu braucht man keinerlei Klassik-Vorwissen. Und das Beste ist: Nach diesem Hit geht es in der Oper noch fast zwei Stunden lang ebenso großartig weiter.