Nachruf auf bernd felgendreher: ein netzeknüpfer

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Immerzu lernte er Leute kennen, die Leute kannten, die andere Leute kennen lernen wollten.  Von David Ensikat Sein Nachname, Felgendreher, verweist auf einen Vorfahren mit einem klar


benennbaren Beruf. Bei Bernd Felgendreher kann man nicht so einfach sagen, was er war. Bernd war das Internet, bevor es das Internet gab, so sagt es ein Freund. Als er ihn kennen lernte, war


Bernd Felgendreher Journalist, allerdings einer, der seine Aufgabe nicht nur darin verstand, die Leser zu informieren, sondern auch die Informanten. Er war ein Netzwerker. Der kannte alle


Leute. So sagt es ein anderer, der ihn bei der SPD kennen gelernt hat. Bernd Felgendreher war dort Referent – und das kann viel bedeuten. In seinem Fall hieß es: Leute zusammenbringen, Netze


knüpfen, Ränke schmieden für Politiker, die darin nicht so gut sind. Seine Frau Jutta sagt: Er war ein guter Mensch. Merkwürdig, wie selten wir uns gestritten haben. Als sie sich kennen


lernten, war er 22 und sie 28. Sie hatte schon zwei Kinder – und das war nicht das Einzige, was Leute, die auf sein Vorankommen hofften, irritierte. Sie lebten in Brokstedt, einem Nest


zwischen Kiel und Hamburg, und Juttas Familie stammte nicht von hier. Bernds auch nicht, aber hätte er sich nicht günstig einheiraten können? Außerdem war sie nur Grundschullehrerin. Bernd


sollte Doktor werden, so war es ausgemacht. Wäre da nicht eine Ärztin besser? Empfohlener redaktioneller Inhalt An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten,


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er tatsächlich sein Medizinstudium ab und machte mit Politik weiter. Na bitte, dachten da die Leute. ENTSCHIEDEN ZU SOZIALDEMOKRATISCH, DIESER JOURNALIST! Ein paar Jahre lebten sie von


Juttas Lehrerinnengehalt. Während Bernd Sozialdemokrat wurde und sich um das Gute in der Welt kümmerte. Das heißt, er lernte Leute kennen und engagierte sich in den lokalen Gremien. Geld


verdiente er erst, als die Lokalzeitung ihn fragte, ob er für sie arbeiten würde. Er war nützlich, denn er kannte alle. Nur fanden ihn die Honoratioren von der CDU nicht so nützlich;


entschieden zu sozialdemokratisch, dieser Journalist! Es war nicht leicht für ihn, und so nahm er im Frühjahr 1990 das Angebot an, in einer ganz anderen Welt neu zu beginnen. Die Mauer war


gefallen, die „Bild am Sonntag“ suchte Leute, die sich in den Osten wagten. Da gehst du auf keinen Fall ohne mich hin, sagte Jutta, die es überhaupt nicht in den Osten drängte. Sie wusste


nur, dass dieser gute Mensch ohne sie aufgeschmissen wäre. Er konnte gut mit Menschen, mit Dingen nicht so sehr. Auch im Osten musste das Leben organisiert, ein Haushalt geführt, Nägel in


Wände geschlagen werden. So siedelten sie zu zweit um vom Holsteinischen Land, wo schon immer alles blieb wie es gewesen war, in die Hauptstadt der DDR, in der gerade nichts beim Alten


blieb. Da drängten Leute in die Gremien und in die Politik, die damit noch nie zu tun gehabt hatten. Bernd schrieb über sie, und er schrieb auch über jene, die sie abgelöst hatten. Mit den


alten Kadern wollten die Neuen nichts zu tun haben, eigentlich. Nur gab es Situationen, in denen das Wissen der Alten von Nutzen hätte sein können. Da half Bernd, der schließlich alle


kannte. Und etlichen Neuen erklärte er, wie das mit den Gremien und der Politik im Westen funktionierte, dem der Osten sich nun anschloss. Das alles passte kaum zum Bild, das man von einem


„Bild“-Reporter haben mochte. Und auch er selbst stellte alsbald fest, dass der Boulevardjournalismus kaum der Ort war, an den er gehörte. Er konnte so ausgewogen schreiben, wie er wollte;


die Überschriften machten andere. Als ein Artikel von ihm erschien, in dem es um die Überprüfung leitender Mitarbeiter der Charité ging, stand auf der Titelseite: „50 Stasi-Spitzel enttarnt“


und über dem Artikel: „Alle müssen raus!“ Im Text steht, dass die Stasiverquickung unterschiedliche Spielarten hatte, die differenziert bewertet werden müssen. Zu dem Zeitpunkt war noch


keinem einzigen gekündigt. POSTEN ZU VERTEILEN! Als sich die Gelegenheit ergab, in der Politik mitzumischen, ergriff Bernd Felgendreher sie und kündigte bei Springer. Der langbärtige


Kulturwissenschaftler Wolfgang Thierse war stellvertretender Vorsitzender der SPD geworden. Er konnte tolle Reden halten, im Netzeknüpfen war er nicht so gut. Für sein Berliner Büro brauchte


er also jemanden, der alle kannte. Und der Reporter wurde Referent. Wenn eine Partei eine Wahl gewinnt, sind Posten zu verteilen. Ein Vorsitzender wird Kanzler, Funktionäre werden Minister,


kleine Referenten werden große, manche sogar Staatssekretäre. 1998 geschah in der der SPD das große Stühlerücken. Wolfgang Thierse wurde Bundestagspräsident, und Bernd hoffte auf einen


schönen neuen Posten – den dann ein anderer bekam. Die Enttäuschung sollte nicht die letzte sein. Bernd wurde Referent eines ostdeutschen Abgeordneten, der sich um die Angelegenheiten der so


genannten „neuen Länder“ kümmerte und hoffte nach 2002er Wahl, die die SPD nochmal überraschend gewonnen hatte, auf eine Stelle bei einer anderen Abgeordneten, die wiederum auf einen


Ministerposten hoffte. Sie wurde nur Staatssekretärin, und Bernd ging leer aus. Was nun? Vielleicht ins Ausland? Auch an Botschaften gibt es Stellen, die von den Parteien besetzt werden.


Bernd Felgendrehers großes Interesse galt schon lange Israel; dorthin wäre er sehr gern gegangen. Stattdessen schickten sie ihn nach Prag als Attaché für Soziale Angelegenheiten. Das mag ein


bisschen trocken klingen, aber auch als solcher lernt man Leute kennen, die Leute kennen, die andere Leute kennen lernen möchten. Die große Wohnung in Berlin Prenzlauer Berg behielt er, und


wenn er in der Stadt war, lud er weiter Leute ein. Auch wenn es inzwischen das Internet gab mit seinen Foren und Netzwerken, spielte Bernd Felgendreher weiter seine Rolle. Es gefiel ihm,


sich mit Leuten zu umgeben, die Leute dankten es ihm, und so gefiel es allen. Als Bernd Felgendrehers Zeit als Attaché in Prag abgelaufen war, entschied allerdings nicht er und auch nicht


die SPD, wohin es nun gehen sollte, sondern, endlich, Jutta, seine Frau. Überallhin war sie ihm gefolgt, jetzt setzte sie sich durch. Zurück nach Brokstedt! Er fügte sich und freute sich,


wenn er Besuch bekam, und selbstverständlich engagierte er sich auch in seiner alten Heimat in allerlei Gremien und in der Flüchtlingshilfe und kannte Hinz und Kunz. So war die Kirche voll


bei der Trauerfeier, obwohl er der alten Heimat so lange abhandengekommen war.