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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Vom Schreibtisch aus auf den tief verschneiten Garten zu blicken, das hat
was. Was es allerdings nicht hat, sind: Vögel. Der Feuerdorn hängt voll mit Beeren, im Ilex leuchtet es rot, an der Schlehe schrumpeln die Früchte, massenweise hängen Hagebutten herum, und
niemand will sie. Traurig baumelt der Meisenknödel im Pflaumenbaum, unbesucht. Ist er ranzig geworden? Die falsche Marke? Rümpfen die Tiere den Schnabel? Oder fehlen tatsächlich die Vögel?
Ich muss jetzt erst mal ein Geständnis machen, das ich bei Douglas Adams geklaut habe, dem unsterblichen Tierbeschreiber (»Die letzten ihrer Art«). Nachdem er 12.000 Meilen nach Neuseeland
und zurück gereist war, um einen seltsamen aussterbenden Vogel namens Kakapo zu sehen, schrieb er: »Eigentlich mache ich mir gar nicht so fürchterlich viel aus Vögeln.« So geht’s mir auch.
So ging es mir zumindest die meiste Zeit meines Lebens. Als Kinder wurden wir zu vogelkundlichen Wanderungen verpflichtet, wir lachten über den Vogelkundler, der über einen Zilpzalp in
Wallung geriet. Vögel waren Tiere, an denen sich vor allem alte Damen entzückten (was stimmt; man weiß ja inzwischen, dass es Altenheimbewohnerinnen und -bewohnern besser geht, wenn sie vom
Heim aus auf gut besuchte Futterplätze schauen). Anders als Meerschweinchen, Pferde oder Hunde mit langen Ohren waren mir Vögel lange Zeit eher egal. DEN NACHBARN HAT DAS LEBENDIGE IN SEINEM
GARTEN OFFENBAR GESTÖRT Geändert hat sich das, seit ich weiß, dass man sich Sorgen um sie machen muss. Und vielleicht auch wegen Corona, weil jetzt jede Art von Gesellschaft etwas Kostbares
ist, selbst wenn man sie sich mit Vogelfutter erkauft. Erkaufen will, jedenfalls. Es funktioniert nicht. Das kann ein lokales Problem sein – oder ein globales. Das lokale liegt ein paar
hundert Meter östlich von unserem Garten: Jemand hatte beschlossen, dass auf seinem Grundstück zu viel Grünes war. 80 Meter Bäume und Sträucher hat er vor ein paar Wochen beseitigt,
Hartriegel, einen Pflaumenbaum, eine wunderbare Birke, 60 Jahre alt mindestens, über Generationen gewachsen. Das alles war lebendig, es hat ihn, warum auch immer, gestört. »Ordnung
schaffen«, so hieß der Vorgang, und sein unmittelbarer Nachbar sagt, seitdem gebe es bei ihm keine Vögel mehr. Vielleicht war es das. Vielleicht ist aber auch das allgemeine menschliche
Klimaverbrechen schuld. Der Naturschutzbund (Nabu) macht gerade wieder seine »Stunde der Wintervögel« und ruft auf zum Vogelzählen, und er hat ein vorläufiges Ergebnis: Die Zähler sind mehr
geworden. Die Vögel eher weniger. GAR NICHT SO SCHLECHT, UNSER GARTEN, AUS DER VOGELPERSPEKTIVE Ich wüsste gar nicht, wen ich hier zählen soll. Was kann ich tun? Ich habe beim Vogelflüsterer
meines Vertrauens nachgeschlagen, Uwe Westphal (»Das große Buch der Gartenvögel«), und habe meine Gartenpraxis überprüft. Nicht zu viel Ordnung im Garten? Prima. Ich halte mich dran. Keine
Pestizide oder Herbizide – versteht sich von selbst. Totes Holz auf einen Haufen werfen und Laub unter der Hecke liegen lassen, Brennnesseln verschonen – gern. Trockenmauer ohne Mörtel?
Haben wir, Eidechsen haben wir auch, wenn Nachbars Katze sie nicht holt. Brombeere, Schlehe, Weißdorn, also Gebüsch mit Dornen und Stacheln – das könnte noch mehr werden. Wildpflanzen (also
Unkraut) dulden – darin bin ich gut. Einheimisches soll man vorzugsweise pflanzen, das war mir klar. Überraschend allerdings eine Tabelle, die ich im Westphal-Buch fand. Sie listet Gehölze
auf und wie viele Vogelarten deren Früchte fressen – Einheimisches und Exotisches im Vergleich. Bei der einheimischen Vogelbeere sind es: 63. Beim Kaukasus-Kirschlorbeer: 3. Beim Gemeinen
(hiesigen) Wacholder: 43. Beim Chinesischen Wachholder: 1. Bei der Forsythie: 0. Gar nicht so schlecht eigentlich, unser Garten, aus der Vogelperspektive gesehen. Finde ich jedenfalls. Was
wollt ihr denn noch? Draußen ist es noch weiß, aber der Schnee wird feuchter, nasser. Auf dem Meisenknödel schmilzt die Schneehaube, starr hängt der Knödel im Pflaumenbaum. Und niemand
kommt.