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Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde. Kreidestaub an den Fingern, eine ungemütliche Kälte, die einen auch in den Seminarräumen den Mantel anbehalten ließ. Im Zimmer für die
Dozenten war ständig der Heißwasserautomat leer, sodass man den grünen Tee oder den Nescafé mit halbheißem Wasser bereiten musste. Alles war lauwarm bis klamm bis freudlos in diesem
Shanghaier Dezember. Alles nervte: das Schlangenblut auf den Gehsteigen, wenn Markttag war, der graue Himmel, der Smog, die unangenehme Feuchtigkeit der Luft, die dünne Plastikfolie, die auf
den Tischen der Lehrerkantine ausgelegt war und einem am Handgelenk klebte und wie ein Schleier umfing, wenn man mit den Stäbchen in der Hand Richtung Tischmitte langte, um sich Huhn oder
Gemüse aus den Schalen zu nehmen. Das Jahr ging seinem Ende zu, alle waren erschöpft und gereizt, ich ließ in meiner Wohnung im Dozentenwohnheim Weihnachtsmusik laufen und sehnte mich nach
adventlicher Innerlichkeit, Weihnachtsgeheimnis und kommender Pracht. Aber Weihnachtsstimmung stellte sich nicht ein, mir war nur kalt und verdrießlich beim Korrigieren der Klausuren. Die
Einladung zum Essen kam per Telefon, eine chinesische Kollegin hatte Geburtstag und lud ein paar Freunde zum Essen ein – in ein besonders schönes, altes Restaurant, wie sie sagte. Ich freute
mich auf die Abwechslung und machte mich ein paar Tage später per Bus auf in die Innenstadt. Ging erst durch Menschenmengen, dann durch ruhigere Straßen zur angegebenen Adresse, ein altes
Haus, vor dem schon meine Kolleginnen und Kollegen standen und warteten. Wir betraten das Gebäude und kamen in einen Vorraum, der von runden Laternen in einen roten Schimmer getaucht war.
Lautlos trat eine Rezeptionistin aus dem Dunkel, gewandet in einen seidenen Qipao, dieses knöchellange, geschlitzte festliche Kleid, das an der Schulter mit Knöpfen geschlossen wird. Sie
nahm uns die Mäntel ab und bedeutete uns, ihr zu folgen. Der dunkle Gang führte um eine Ecke und endete vor einer Tür, die nun wie von Zauberhand aufging. Mir stockte der Atem, es war wie
ein Gongschlag: ein Gastraum wie ein Palast! Schwarzes Holz mit goldenen Schriftzeichen, riesige stoffbespannte rote Lampen, die wie Stalaktiten von der Decke hingen, prächtige Wandgemälde,
Kalligrafien, üppige Quasten, goldene Drachen und Jade-Buddhas. Schwarze Lackstühle und runde Tische. Leises Gemurmel, köstlicher Essensduft! Es war überwältigend, eine Zeitreise in ein
Shanghai der 1920er-Jahre, es fehlten nur Opiumpfeifen. Stattdessen gab es Shaoxing Jiu, Reiswein, der süß und leicht harzig und ein wenig wie Sherry schmeckte und uns angewärmt aus
filigranen Kannen in winzigen, hauchdünnen Porzellanbechern kredenzt wurde. Und das Essen, ein Sinnenrausch: Suppe und Klößchen, Pilze und Bambus, Lotoswurzel und Schweinebällchen mit
Pflaume. Und dann kam das Gericht, das mein chinesisches Lieblingsessen werden sollte, für immer (die Mutter meiner Kollegin würde es mir ein paar Wochen später in ihrer winzigen Wohnung
beibringen, was ich damals noch nicht wusste. Auch nicht, wie sehr ich China und Shanghai einmal lieben würde): Gong Bao Ji Ding, Palasthühnchen! Auf einer festlichen Platte gereicht, in der
Mitte des Tisches abgestellt: weiche Hühnchenwürfel und der Biss von Erdnüssen, in Chili-scharfer und süßsäuerlicher, würziger, goldbrauner Soße, darin süße Frühlingszwiebeln und
feurig-fruchtiger Ingwer. Und dazwischen wie Perlen aus purem Geschmack die Szechuanpfefferkörner: scharf, doch voller Aroma, zitronig, balsamisch, anisartig. Betäubend und fremd und
märchenhaft. Die Stäbchen waren aus Ebenholz, als ich mir damit den ersten Bissen vom Palasthühnchen zum Mund geführt hatte, schloss ich die Augen, so überwältigt war ich. Irgendwann setzte
Musik ein, die »Butterfly Lovers«, ein chinesisches Violinkonzert, das mich auch heute noch aus dem Stand zu Tränen rühren kann. Es war ein betörendes Mahl, ein der Wirklichkeit enthobener
Abend. Der mir, auch für später, klarmachte, wie wichtig das Feiern doch ist. Die Pracht und die Freude. Auch – und vor allem – in grauer Zeit. Unsere Köchin begleitet Sie durch die
Pandemie: Jeden Montag präsentieren wir hier eines von Verena Lugerts Rezepten – nicht aufwendig, aber raffiniert. Ihr Credo: Gutes Essen macht nicht nur satt, sondern auch glücklich. Hier
finden Sie alle bisher erschienenen Rezepte. REZEPT FÜR GONG BAO JI DING – CHINESISCHES PALASTHÜHNCHEN FÜR VIER PERSONEN * 2–3 Hühnerbrüste, insgesamt ca. 500 g * 2–4 kleine getrocknete
Chilischoten * 3 Knoblauchzehen * ½–1 daumengroßes Stück Ingwer * 6 – 8 Frühlingszwiebeln * ½–1 TL Szechuanpfeffer * 90 g Erdnüsse, geröstet und gesalzen * 2 EL Sonnenblumen- oder Erdnussöl
_Marinade_ * 1 EL Sojasoße * 1 EL Shaoxing-Wein (chinesischer Reiswein, aus dem Asialaden) – man kann ihn zur Not durch Sherry ersetzen * 1 EL Wasser oder Hühnerbrühe * 1 TL Stärke * ½–1 TL
Salz, probieren und abschmecken, hängt vom Salzgehalt der verwendeten Sojasoße ab _Soße_ * 1 EL Zucker * 2 EL Sojasoße * 2 EL Chinkiang-Essig (dunkler, herbsüßer chinesischer Reisessig, aus
dem Asialaden) * 1 EL Sesamöl * 2 EL Wasser oder Hühnerbrühe * ½ TL Stärke * Die Hühnerbrüste in gleichmäßige Würfel von ca. 2 cm Kantenlänge schneiden, sie sollten mit Stäbchen gut zu essen
sein. * Die Zutaten für die Marinade gut verrühren, Hühnerwürfel in die Marinade geben. * Von den getrockneten Chilis den Stilansatz herausdrehen, die Schoten mit dem Finger drücken, sodass
die Kerne herausfallen. Die kernfreien Schoten in sehr feine Streifen schneiden, eventuell einen der Streifen probieren, um die Schärfe zu testen, dann entscheiden, wie viel man vom Chili
verwenden möchte, je nach Schärfewunsch. * Knoblauchzehen und Ingwer schälen, beides sehr fein schneiden oder raspeln. * Frühlingszwiebeln putzen, in ca. 1 cm lange Stücke schneiden. * Öl im
Wok oder einer Pfanne stark erhitzen, Chilis und Szechuanpfeffer hineingeben, ein paar Sekunden erhitzen, bis sie zu duften beginnen, auf keinen Fall verbrennen lassen. Dann das
Hühnerfleisch samt Marinade zugeben, sofort rühren (_stir-fry_ ). * Knoblauch, Ingwer und Frühlingszwiebeln zugeben, weiterhin beständig rühren. * Soße zugeben, rühren. * Hat sich nach
wenigen Minuten alles gut miteinander verbunden, Erdnüsse zugeben und sofort servieren. Zum Gericht gehört unbedingt Reis – und es passt ganz hervorragend ein chinesischer Gurkensalat, den
Sie unbedingt einmal probieren sollten: Auf 3 Minigurken mit dem Nudelholz oder einer Flasche recht robust draufhauen, die angeditschten Gurken dann schräg in etwa 2 cm große Keile
schneiden, Gurken beim Schneiden immer wieder um 90 Grad drehen. 1 Knoblauchzehe raspeln und gemeinsam mit etwas Salz, je 2 TL Sojasoße, Chinkiang-Essig und Sesamöl unter die Gurken mischen.
Lassen Sie es sich schmecken!