Abschluss nach drei semestern: der turbostudent

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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Bis 11 Uhr schlafen, dann in der Mensa abhängen und abends in die Kneipe: Das


Studentenleben kann süß sein. Was Tobias Schwetz erzählt, klingt dagegen zumindest zeitweise bitter. Schwetz, 26, hat seinen Bachelor in Business Administration in weniger als der Hälfte


der vorgegebenen Studienzeit abgeschlossen, drei Semester statt sieben – und dabei Vollzeit gearbeitet. »Klar, ich musste dafür auf einiges verzichten«, sagt Schwetz. Freunde habe er


lediglich an den Wochenenden für ein, zwei Stunden getroffen, mit seiner Familie in Baden-Württemberg nur gelegentlich telefoniert. Eine Freundin hatte er nicht, »das wäre zeitlich gar nicht


möglich gewesen«. DAS STUDIUM VERKÜRZEN Wie viele Studierende ihr Studium verkürzen, dazu gibt es keine deutschlandweiten Zahlen. In den Statistiken geht es meist eher darum, um wie viele


Semester sie es verlängern – denn das kommt weitaus häufiger vor. Im Jahr 2019 beispielsweise beendeten nur 38,1 Prozent der Absolventinnen und Absolventen  ihren Bachelor innerhalb der


Regelstudienzeit. Doch es gibt eben auch das Gegenstück, Turbostudierende wie Tobias Schwetz. »Ungefähr drei Prozent unserer Studierenden in Bachelor- und Masterstudiengängen schließen vor


der Regelstudienzeit ab«, sagt etwa Beate Lipps, Leiterin der Zentralen Studienberatungsstelle der Universität Mainz. »Bei rund 4500 Absolventen macht das etwa 135 Personen im Jahr.« Warum


tut man sich ein solches Turbostudium an – und bleibt nach ein paar Semestern Dauerstress überhaupt etwas davon übrig? Tobias Schwetz zumindest ist stolz auf seinen Werdegang und erzählt


gern davon. Nach dem Schulabschluss machte er zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufmann, nach einem Ausflug in die Modewelt schließlich ein Praktikum im Bereich Corporate Finance in


Düsseldorf. Dort sei ihm aufgegangen: »Um in der Finanzwelt weiterzukommen, muss ich studieren.« IN JEDER FREIEN MINUTE LERNEN Noch während des Praktikums schrieb sich Schwetz an der FOM


Hochschule für Ökonomie & Management in Essen ein. Das reguläre Programm für den berufsbegleitenden Studiengang  Business Administration: an drei Abenden in der Woche Vorlesungen und


Seminare von 18 bis 21.15 Uhr, an zwei oder drei Samstagen im Monat von 8.30 bis 15.45 Uhr. Vorgesehene Studiendauer: sieben Semester. Eigentlich Stress genug – zumal er nach dem Praktikum


in Vollzeit bei der Bank anfing. Doch schon im ersten Semester habe er häufiger gedacht, dass man die Veranstaltungen nicht unbedingt besuchen müsste, sondern sich das Wissen selbst über das


Skript aneignen könnte, erzählt Schwetz. Als er von einem Nachschreibetermin für die Wirtschafts- und Privatrechtsklausur gelesen habe, habe er gedacht: »Das probiere ich mal.« Eine Woche


Zeit sei noch gewesen bis zur Klausur – der Klausur zu einer Vorlesung, die Schwetz kein einziges Mal besucht hatte. Er habe sich die 300 Seiten Skript besorgt und in jeder freien Minute


gelernt. »Ich bin morgens um vier aufgestanden, habe gelernt, auf dem Weg zur Arbeit im Bus meine Karteikarten wiederholt und abends weitergemacht.« Die Mühe habe sich ausgezahlt, sagt


Schwetz, die Klausur habe er mit 2,0 bestanden. Und sich gedacht: »Wenn das geht, dann muss auch das restliche Studium schneller gehen.« Es ging: Im März 2019 hatte Schwetz sein Studium


begonnen, Ende Oktober 2020 hielt er sein Abschlusszeugnis in der Hand. Einziger Wermutstropfen: Studiengebühren musste er für alle sieben und nicht nur für drei Semester bezahlen.


ORGANISATORISCHE HERAUSFORDERUNG Ob alle Turbostudierenden so schnell sind, verraten die Statistiken der Unis nicht. Aber grundsätzlich sei auch an der Universität Mainz ein stark verkürztes


Studium möglich, sagt Studienberaterin Lipps; eine Mindeststudiendauer existiere lediglich in Studiengängen auf Staatsexamen wie Medizin oder Jura. Grundsätzlich könne man sich in fast alle


Lehrveranstaltungen des eigenen Studiengangs einwählen, unabhängig vom Semester – sofern dort genügend freie Plätze vorhanden sind. An der FOM sei das nicht immer so einfach gewesen, sagt


Schwetz: »Ich musste schon viel Überzeugungsarbeit leisten, um Veranstaltungen aus höheren Semestern belegen und Prüfungen vorziehen zu können.« Manche Dozierende hätten gesagt, das


Arbeitspensum sei nicht zu schaffen – er habe auf seine guten Noten verwiesen, um das Gegenteil zu beweisen. Am Ende schloss Schwetz sein Studium mit der Gesamtnote 1,9 ab. Auf dem Papier


also alles super. Doch kann er das Wissen aus seinem Studium auch langfristig behalten? Schwetz meint: Ja. Er glaubt sogar, dass er von den Inhalten mehr behalten hat als Kommilitoninnen und


Kommilitonen, die in normaler Geschwindigkeit studieren. »Mir kann niemand erzählen, dass er sich im sechsten Semester noch an jede Formel oder jede Theorie erinnert, die er im ersten


gelernt hat.« Wer hingegen wie er viele Kurse parallel belege, lerne kompakter. Weil die einzelnen Prüfungen näher aneinanderlägen, wiederhole man ständig, könne Querverbindungen schneller


erkennen und so das Fach als Ganzes besser verstehen. EINE LERNFORSCHERIN ORDNET EIN Von dieser Argumentation ist Ines Langemeyer wenig überzeugt. Sie ist Professorin für Lehr-Lernforschung


am Karlsruher Institut für Technologie – und kein Fan des Turbostudiums. »Es gibt immer wieder Menschen, die hoffen, den Lernprozess abkürzen zu können«, sagt Langemeyer. »Aber ganz häufig


tut man sich damit keinen Gefallen.« Natürlich gebe es Hochbegabte, die ein normales Studium unterfordere. Normalbegabte könnten zudem Auswendiglernen trainieren und somit kurzfristige


Erfolge in Prüfungen erzielen. Doch damit das Erlernte zu dauerhaftem Wissen werde, müsse man es strukturieren und vertiefen. »Wir merken uns Dinge anders, wenn wir sie in einem praktischen


Zusammenhang erfahren – als Problem, das wir lösen müssen, beispielsweise«, sagt Langemeyer. Warum ist eine bestimmte Formel überhaupt relevant? In welchen Situationen muss ich erlernte


Kategorien anwenden? Erst wenn die reine Information um solche anwendungsbezogenen Aspekte erweitert werde, könne sie derart in den Erfahrungsschatz übergehen, dass sie uns im richtigen


Moment einfalle – »und nicht bloß dann, wenn uns eine Multiple-Choice-Frage darauf stößt«. Außerdem warnt die Lernforscherin davor, sich beim Lernen zu viel Druck zu machen. »Schon in dem


Moment, wo ich mir sage: ›Das muss jetzt alles ganz schnell gehen!‹, bin ich im Stress.« Stress sei ein echter Lernkiller – der zusätzlich auch der Selbstreflexion im Weg stehe. »Wenn ich


nur meinem Lernplan hinterherhetze, bleibt mir kaum Zeit, über mich selbst nachzudenken.« Eine Fähigkeit, die man im Studium ebenfalls üben solle. SCHNELLER ANS ZIEL Auch Studienberaterin


Lipps sieht im Studium nicht nur eine Zeit, in der man lernt, sondern auch eine, in der man sich orientiert. »Wenn jemand aber schon sehr viel Klarheit über den eigenen Weg hat, dann ist


diese Phase der Orientierung vielleicht nicht unbedingt notwendig«, sagt sie. Bei Tobias Schwetz könnte das zutreffen: Mit dem Hochschulabschluss konnte er eine Traineestelle bei einer Bank


antreten, in seinem Wunschbereich Großkundenbetreuung. Er blickt optimistisch in seine Zukunft – und zufrieden auf sein Studium zurück. »Für mich fühlte es sich an wie ein Lifehack – einfach


etwas machen, von dem mir andere sagten, es ginge nicht.« Aber inzwischen genieße er es schon, seinen Feierabend mit etwas anderem als Lernen zu verbringen.