Studium verkürzen: Wie man unter Regelstudienzeit zum Abschluss kommt - DER SPIEGEL

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Lernen, lernen, lernen: Wer sein Studium verkürzen will, hat wenig Zeit für ein Privatleben (Symbolbild)


Bis 11 Uhr schlafen, dann in der Mensa abhängen und abends in die Kneipe: Das Studentenleben kann süß sein. Was Tobias Schwetz erzählt, klingt dagegen zumindest zeitweise bitter. Schwetz,


26, hat seinen Bachelor in Business Administration in weniger als der Hälfte der vorgegebenen Studienzeit abgeschlossen, drei Semester statt sieben – und dabei Vollzeit gearbeitet.


»Klar, ich musste dafür auf einiges verzichten«, sagt Schwetz. Freunde habe er lediglich an den Wochenenden für ein, zwei Stunden getroffen, mit seiner Familie in Baden-Württemberg nur


gelegentlich telefoniert. Eine Freundin hatte er nicht, »das wäre zeitlich gar nicht möglich gewesen«.


Doch es gibt eben auch das Gegenstück, Turbostudierende wie Tobias Schwetz. »Ungefähr drei Prozent unserer Studierenden in Bachelor- und Masterstudiengängen schließen vor der


Regelstudienzeit ab«, sagt etwa Beate Lipps, Leiterin der Zentralen Studienberatungsstelle der Universität Mainz. »Bei rund 4500 Absolventen macht das etwa 135 Personen im Jahr.«


Warum tut man sich ein solches Turbostudium an – und bleibt nach ein paar Semestern Dauerstress überhaupt etwas davon übrig?


Tobias Schwetz zumindest ist stolz auf seinen Werdegang und erzählt gern davon. Nach dem Schulabschluss machte er zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufmann, nach einem Ausflug in die


Modewelt schließlich ein Praktikum im Bereich Corporate Finance in Düsseldorf. Dort sei ihm aufgegangen: »Um in der Finanzwelt weiterzukommen, muss ich studieren.«


Noch während des Praktikums schrieb sich Schwetz an der FOM Hochschule für Ökonomie & Management in Essen ein. Das reguläre Programm für den berufsbegleitenden Studiengang  Business


Administration: an drei Abenden in der Woche Vorlesungen und Seminare von 18 bis 21.15 Uhr, an zwei oder drei Samstagen im Monat von 8.30 bis 15.45 Uhr. Vorgesehene Studiendauer: sieben


Semester. Eigentlich Stress genug – zumal er nach dem Praktikum in Vollzeit bei der Bank anfing.


Tobias Schwetz, 26, verkürzte sein Studium in Business Administration um vier Semester


Doch schon im ersten Semester habe er häufiger gedacht, dass man die Veranstaltungen nicht unbedingt besuchen müsste, sondern sich das Wissen selbst über das Skript aneignen könnte, erzählt


Schwetz. Als er von einem Nachschreibetermin für die Wirtschafts- und Privatrechtsklausur gelesen habe, habe er gedacht: »Das probiere ich mal.« Eine Woche Zeit sei noch gewesen bis zur


Klausur – der Klausur zu einer Vorlesung, die Schwetz kein einziges Mal besucht hatte.


Er habe sich die 300 Seiten Skript besorgt und in jeder freien Minute gelernt. »Ich bin morgens um vier aufgestanden, habe gelernt, auf dem Weg zur Arbeit im Bus meine Karteikarten


wiederholt und abends weitergemacht.« Die Mühe habe sich ausgezahlt, sagt Schwetz, die Klausur habe er mit 2,0 bestanden. Und sich gedacht: »Wenn das geht, dann muss auch das restliche


Studium schneller gehen.«


Es ging: Im März 2019 hatte Schwetz sein Studium begonnen, Ende Oktober 2020 hielt er sein Abschlusszeugnis in der Hand. Einziger Wermutstropfen: Studiengebühren musste er für alle sieben


und nicht nur für drei Semester bezahlen.


Ob alle Turbostudierenden so schnell sind, verraten die Statistiken der Unis nicht. Aber grundsätzlich sei auch an der Universität Mainz ein stark verkürztes Studium möglich, sagt


Studienberaterin Lipps; eine Mindeststudiendauer existiere lediglich in Studiengängen auf Staatsexamen wie Medizin oder Jura. Grundsätzlich könne man sich in fast alle Lehrveranstaltungen


des eigenen Studiengangs einwählen, unabhängig vom Semester – sofern dort genügend freie Plätze vorhanden sind.


An der FOM sei das nicht immer so einfach gewesen, sagt Schwetz: »Ich musste schon viel Überzeugungsarbeit leisten, um Veranstaltungen aus höheren Semestern belegen und Prüfungen vorziehen


zu können.« Manche Dozierende hätten gesagt, das Arbeitspensum sei nicht zu schaffen – er habe auf seine guten Noten verwiesen, um das Gegenteil zu beweisen.


Am Ende schloss Schwetz sein Studium mit der Gesamtnote 1,9 ab. Auf dem Papier also alles super. Doch kann er das Wissen aus seinem Studium auch langfristig behalten?


Schwetz meint: Ja. Er glaubt sogar, dass er von den Inhalten mehr behalten hat als Kommilitoninnen und Kommilitonen, die in normaler Geschwindigkeit studieren. »Mir kann niemand erzählen,


dass er sich im sechsten Semester noch an jede Formel oder jede Theorie erinnert, die er im ersten gelernt hat.« Wer hingegen wie er viele Kurse parallel belege, lerne kompakter. Weil die


einzelnen Prüfungen näher aneinanderlägen, wiederhole man ständig, könne Querverbindungen schneller erkennen und so das Fach als Ganzes besser verstehen.


Von dieser Argumentation ist Ines Langemeyer wenig überzeugt. Sie ist Professorin für Lehr-Lernforschung am Karlsruher Institut für Technologie – und kein Fan des Turbostudiums. »Es gibt


immer wieder Menschen, die hoffen, den Lernprozess abkürzen zu können«, sagt Langemeyer. »Aber ganz häufig tut man sich damit keinen Gefallen.«


Natürlich gebe es Hochbegabte, die ein normales Studium unterfordere. Normalbegabte könnten zudem Auswendiglernen trainieren und somit kurzfristige Erfolge in Prüfungen erzielen. Doch damit


das Erlernte zu dauerhaftem Wissen werde, müsse man es strukturieren und vertiefen. »Wir merken uns Dinge anders, wenn wir sie in einem praktischen Zusammenhang erfahren – als Problem, das


wir lösen müssen, beispielsweise«, sagt Langemeyer.


Warum ist eine bestimmte Formel überhaupt relevant? In welchen Situationen muss ich erlernte Kategorien anwenden? Erst wenn die reine Information um solche anwendungsbezogenen Aspekte


erweitert werde, könne sie derart in den Erfahrungsschatz übergehen, dass sie uns im richtigen Moment einfalle – »und nicht bloß dann, wenn uns eine Multiple-Choice-Frage darauf stößt«.


Außerdem warnt die Lernforscherin davor, sich beim Lernen zu viel Druck zu machen. »Schon in dem Moment, wo ich mir sage: ›Das muss jetzt alles ganz schnell gehen!‹, bin ich im Stress.«


Stress sei ein echter Lernkiller – der zusätzlich auch der Selbstreflexion im Weg stehe. »Wenn ich nur meinem Lernplan hinterherhetze, bleibt mir kaum Zeit, über mich selbst nachzudenken.«


Eine Fähigkeit, die man im Studium ebenfalls üben solle.


Auch Studienberaterin Lipps sieht im Studium nicht nur eine Zeit, in der man lernt, sondern auch eine, in der man sich orientiert. »Wenn jemand aber schon sehr viel Klarheit über den eigenen


Weg hat, dann ist diese Phase der Orientierung vielleicht nicht unbedingt notwendig«, sagt sie.


Bei Tobias Schwetz könnte das zutreffen: Mit dem Hochschulabschluss konnte er eine Traineestelle bei einer Bank antreten, in seinem Wunschbereich Großkundenbetreuung. Er blickt optimistisch


in seine Zukunft – und zufrieden auf sein Studium zurück. »Für mich fühlte es sich an wie ein Lifehack – einfach etwas machen, von dem mir andere sagten, es ginge nicht.«


Aber inzwischen genieße er es schon, seinen Feierabend mit etwas anderem als Lernen zu verbringen.


Lernen, lernen, lernen: Wer sein Studium verkürzen will, hat wenig Zeit für ein Privatleben (Symbolbild)


Tobias Schwetz, 26, verkürzte sein Studium in Business Administration um vier Semester