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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Ronald
Pofalla Berlin - Wärme ist das erste, was die schwarz-gelben Bald-Koalitionäre konkret beschlossen haben. Soziale Wärme. "Fundamentale Ungerechtigkeiten im Hartz-IV-System" habe
man beseitigt, brüstet sich CDU-Generalsekretär im Stile eines Klassenkämpfers. Man werde das Schonvermögen für die Altersvorsorge erhöhen, um das Dreifache. Nur mal zur Erinnerung: Union
und FDP sollten doch die Koalition der sozialen Kälte bilden. Das hat die SPD im Wahlkampf gesagt. Viele Anhänger hat die These jetzt nicht mehr. Vor der Berliner Vertretung des Landes
Nordrhein-Westfalen, da wo CDU, CSU und FDP über ihre Koalition verhandeln, stehen am Mittwochnachmittag ein paar versprengte Vertreter der IG-Metall-Jugend mit roten Schildern. "Wir
sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut", skandieren sie recht zaghaft, während drinnen die drei Parteien ihre soziale Wohltat verkünden. Na ja, zumindest wirkt es wie
eine Wohltat. Denn die Sache mit dem Schonvermögen klingt zwar richtig gut, bringt aber tatsächlich kaum jemandem etwas: Nur 0,5 Prozent der Hartz-IV-Anträge werden wegen zu hohen Vermögens
abgelehnt. So gerät das soziale Gewissen letztlich zur ausgebufften Schaufensterpolitik. WIE MERKEL DIE GEWERKSCHAFTEN HOFIERT Ein wohlinszeniertes Symbol, gewiss. Es geht um gefühlte
Gerechtigkeit, einst die Kernkompetenz der Sozialdemokraten. Dahinter jedoch steckt ein genereller Trend. Kaum hat die Union die SPD aus der Regierung gedrückt, geben sich die
Christunionisten als Gralshüter des Sozialen. Angela Merkel Wer genau hinhörte, der konnte das schon unmittelbar nach der Bundestagswahl feststellen. Rücknahme der von Schwarz-Rot
beschlossenen Mindestlöhne? Werde es auf keinen Fall geben, versicherte Kanzlerin . Privatisierungen im Gesundheitswesen? Könne die FDP auch vergessen, am Gesundheitsfonds wolle man
grundsätzlich festhalten. Und dann der krönende Spruch: "Ich will die Kanzlerin aller Deutschen sein." Nicht die Schwarz-Gelb-Kanzlerin; nicht die Kanzlerin der sozialen Kälte;
nicht die Kahlschlag-Kanzlerin. seit der Wahl Ganz besonders freundlich geht Merkel in den Tagen mit den Gewerkschaften um. Ob auf der 60-Jahr-Feier des Deutschen Gewerkschaftsbundes, ob in
ihrem Video-Podcast oder in einem Gastbeitrag für die "Neue Presse" - stets hofiert Merkel die Arbeitnehmervertreter in einer Art und Weise, wie es ein gestandener Genosse nicht
besser könnte. Mal lobt sie deren Rolle für die "Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland", mal schwört sie die Verbände auf einen partnerschaftlichen Kampf gegen die
Finanzkrise ein. Dann wieder dankt sie wichtigen Gewerkschaftsbossen persönlich für deren Engagement. Vorläufiger Höhepunkt von Merkels Gewerkschafts-Festspielen: ein Auftritt auf der Tagung
der IG Bergbau, Chemie und Energie am Mittwoch. Dort klagte sie über jene Kollegen, die an Kündigungsschutz und betrieblicher Mitbestimmung rütteln wollen. Mindestlöhne, Kündigungsschutz,
Mitbestimmung - plötzlich beharren die Unionsparteien auf Inhalten, die sie in der Großen Koalition doch mindestens kritisiert, mitunter sogar offen bekämpft haben. Was ist da passiert?
"AUSWÜCHSE UND EXZESSE DES SPEKULATIONSKAPITALISMUS" Horst Seehofer Schon ihr ganzes politisches Leben haben manche auf diese Wellness-Union hingearbeitet. Zum Beispiel der
CSU-Vorsitzende , Sohn eines Lastwagenfahrers, selbsterklärter Schutzpatron der kleinen Leute. Als Merkel noch nicht die Sozial-Kanzlerin war, damals in der Zeit nach dem Leipziger
Reformparteitag der CDU im Jahr 2003, war er einer ihrer schärfsten politischen Gegner. Jahrelang hat der Herz-Jesu-Sozialist gegen die "Auswüchse und Exzesse des
Spekulationskapitalismus" gekämpft, im letzten Wahlkampf noch die FDP vor "neoliberalen Streichkonzerten" gewarnt. Christine Haderthauer Seine bayerische Sozialministerin
(CSU) hat den klassenkämpferischen Ton aufgenommen. Das nun von den Liberalen geforderte Bürgergeld mit einer Pauschalierung der Heizkosten komme nicht in Frage: "Wir wollen keine
Transferhilfenempfänger, die den Winter ungeheizt überstehen müssen, weil die Pauschale nicht reicht." Frierende Menschen in Deutschland - darauf hat bisher eher die Linkspartei
gesetzt. Doch die Union hat den mitfühlenden Konservatismus wiederentdeckt. Man kann die sozialpolitischen Manöver der neuen Union natürlich als durchsichtige Taktik deuten. Denn klar ist:
Nach der Bundestagswahl steht auch schon der nächste wichtige Urnengang an - der in Nordrhein-Westfalen, dem einstigen Stammland der Sozialdemokratie, das 2004 vom CDU-Linken Jürgen Rüttgers
gekapert wurde. Dort wird am 9. Mai 2010 gewählt, und wie es der Zufall will, muss die schwarz-gelbe Bundesregierung erst ein paar Wochen später ihren Haushaltsplan vorlegen, in dem sie den
Weg aus der Schuldenfalle wird aufzeichnen müssen. Bis dahin können allerlei Wohltaten versprochen werden. Allerdings spricht einiges dafür, dass Schwarz-Gelb auch nach der Landtagswahl in
Nordrhein-Westfalen nicht den sozialen Kahlschlag plant. Denn die Koalitionäre in spe dürften wissen, dass sie damit schlafende Hunde wecken könnten. Besonders bei der SPD: Mit Inbrunst
würden die Genossen dann polarisieren, alte Gräben aufmachen und Abtrünnige einsammeln. Ob die Bundesregierung der Opposition diesen Gefallen tun wird, darf zumindest angezweifelt werden. So
geht bei den Sozialdemokraten derzeit vor allem eine Angst um: Die, dass Schwarz-Gelb nicht so regieren wird, wie man sich das gemeinhin vorstellte. Und irgendwie auch erhofft hatte.