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acht Uhr morgens, Gülseren Demirel arbeitet an ihrem Koffeinspiegel. In eineinhalb Stunden muss sie im Stadtrat am Münchner Marienplatz sitzen. Seit zehn Jahren macht sie für die Grünen
Kommunalpolitik. Demirel kennt die Stadt. Im Stadtrat wird sie nicht mehr lange sitzen, denn am vergangenen Sonntag hat sie bei den Landtagswahlen das Direktmandat geholt, 30,9 Prozent der
Giesinger haben sie gewählt. Das war nicht knapp, nicht einmal ein bisschen. Der Mann von der CSU bekam gerade einmal 22,6 Prozent. Ob es sie überrascht hat, dass sie gewonnen habe? Das
nicht, sagt sie, aber gefreut. So deutlich hatte sie es dann doch nicht erwartet. Eine Frau fährt mit dem Fahrrad vorbei und hält an, "Glückwunsch", sagt sie, "ich war so
froh, dass ich Dich wählen konnte." Demirel, kinnlanges braunes Haar, herzliches Lachen, schüttelt ihre Hand. Die Frau sagt, sie sei ganz froh, dass die Grünen nun nicht in die
Regierung kämen - da würden sie nur überrollt von der CSU. "Auch aus der Opposition kann man gute Arbeit machen", sagt Demirel. Dass Menschen auf der Straße ihr gratulieren,
passiert ihr nun öfter. Sie hätten einen guten Wahlkampf gemacht, sagt sie. Ihr Motto: für ein vielfältiges Bayern. Das habe viele gestört, doch nicht nur das: "Für viele bin ich, ist
mein Aussehen, eine Provokation", sagt Demirel. Demirel wurde 1964 in der Türkei geboren, mit sechs Jahren kam sie nach Deutschland. Doch ihre Eltern wollten, dass sie die Schule in der
Türkei beendet, erzählt sie. Also ging sie zurück. Die Situation in Istanbul war angespannt, es war kurz vor dem Militärputsch 1980. Demirel wurde von einem Panzer angefahren. "Wenn
man so etwas erlebt hat, weiß man die Demokratie umso mehr zu schätzen", sagt sie. Sie hätte gern regiert. Andererseits aber wäre es eine Herausforderung gewesen. Schließlich haben die
Giesinger sie direkt gewählt. "Es ist, als wäre ich ihre Sprecherin", sagt sie. Das sei ein großer Vertrauensvorschuss, dem wolle sie gerecht werden. Alle Themen als Juniorpartner
gegen die CSU durchzusetzen, wäre wohl unmöglich gewesen. Fotostrecke Wahlpartys der Parteien: Stagediving bei den Grünen, Stille bei der CSU Foto: Matthias Schrader/ AP Die CSU hat am
Donnerstagmorgen in einer Schalte des Präsidiums beschlossen, mit den Freien Wählern Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Der grüne Spitzenkandidat Ludwig Hartmann, der sein Direktmandat mit
44 Prozent der Stimmen gewann, war enttäuscht. Die CSU wähle den einfachen Weg. "Ich sage es ganz offen: Ich hätte Markus Söder mehr Mut gewünscht, den anstrengenden, aber
erfolgversprechenden Weg mit uns Grünen zu gehen", sagte er. VIDEO: WIE PATRICK FRIEDL IN WÜRZBURG DIE CSU BESIEGT HAT Manch ein Grüner glaubt, die CSU vergesse die Frauen und die
Großstädter, die Liberalen und Weltoffenen. Doch immerhin 27 Prozent derjenigen, die in Großstädten leben, haben die CSU gewählt und sogar 37 Prozent der Frauen. 26 Prozent der Großstädter
und 20 Prozent der Frauen wählten grün. Stärkste Kraft wurden sie nur in München. Das auch wegen Frauen wie Demirel. Sie schaffte es, sich als Alternative zu dem "Weiter-so" der
CSU zu etablieren. Ihre Wähler seien aus allen möglichen Milieus gekommen, Alleinerziehende, Menschen mit Angst, sich die Stadt bald nicht mehr leisten zu können, Menschen mit
Migrationshintergrund hätten sie gewählt. Weil sie in der Türkei geboren wurde und keinen deutschen Namen hat, wurde Demirel zum Ziel für Anfeindungen: Ihr Gesicht entstellt im Internet, als
wäre sie geschlagen worden. "So bunt kannst du es haben", habe darunter gestanden. VIDEO ZUR MACHTOPTION DER GRÜNEN: "CSU KANN SICH IHREN PARTNER AUSSUCHEN" Aber nicht
nur. Die rechtsextremen Grauen Wölfe, Nationalisten aus der Türkei, warben laut einer Pressemitteilung der Grünen dafür, die Wahl und Demirel zu boykottieren. Türkische Vereine schlossen
sich zusammen, um sich gegen Demirel auszusprechen. Sie mache nichts für Migranten, sagten sie. Demirel ist Kurdin. Besonders für ihre Familie war das schlimm, die Tochter veröffentlichte
einen Brief im Internet. "Ich hatte Momente, an denen ich vor dem Monitor am liebsten angefangen hätte zu brüllen oder zu weinen. Dieser unendliche Hass gegenüber meiner Familie, der
dort zu lesen war und auch nach wie vor zu lesen ist, brachte mich dazu, an diesem Mandat zu zweifeln", ist dort zu lesen. Demirel zündet sich eine Zigarette an. In die Türkei reist sie
nicht mehr. Das fällt ihr schwer, weil die Mutter dort noch lebt. Was denn das Schönste am Wahlkampf gewesen sei? "Viele Menschen haben zu mir gesagt: Allein wegen ihres Lächelns muss
man sie wählen", sagt Demirel. Sie habe mindestens 15.000 Zweitstimmen bekommen: "Für manche bin ich eine Provokation. Für andere ist es ein Statement, mich zu wählen."