Kolonialismus in deutschland: wo du ihn noch heute siehst und spürst

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BEITRAG WURDE AM 20.10.2019 AUF BENTO.DE VERÖFFENTLICHT. Manchmal, wenn ich durch die Straßen des Afrikanischen Viertels im Berliner Wedding spaziere, wird mir  schlecht. Ich gehe auf der


Togo-Straße, kreuze die Kameruner- und Sansibarstraße und denke daran, zu welchem Zweck diese Straßen ihre Namen bekamen.  VOR HUNDERT JAHREN SOLLTEN SCHWARZE MENSCHEN HIER IN BERLIN ZUR


BELUSTIGUNG AUSGESTELLT WERDEN. MENSCHEN, DIE AUSSEHEN WIE ICH. MENSCHEN, DIE AUSSEHEN WIE MEIN VATER.  Tierparkbesitzer Carl Hagenbeck plante hier vor dem Ersten Weltkrieg einen


überdimensionalen Zoo, in dem Tiere sowie Menschen aus den Kolonien ausgestellt werden. Deutsche sollten sich am "Exotischen" ergötzen.  Es ging darum, Sensationslust zu


befriedigen. Und darum, symbolisch die Überlegenheit weißer Menschen zu beweisen. Denn getarnt durch wissenschaftlichem Habitus wurde hier suggeriert: Schwarze Personen sind keine Menschen


zweiter Klasse, sondern gleichgestellt mit Tieren. Wilde, die gezähmt werden können und müssen.  Das Projekt "Afrikanisches Viertel" scheiterte zwar, in Berlin fand aber bereits


1896 die erste Kolonialausstellung statt, bei der auch Menschen aus den Kolonien gezeigt wurden.  Die Historikern Anne Dreesbach   geht von etwa 400 "Völkerschauen" aus, die von


der Reichsgründung bis in die 1930er Jahre stattfanden. In diesen "Ausstellungen", die unter Namen, wie "Gorilla-N*****" oder "Kongo-N*****-Truppe" liefen,


konnten die Besucher sich von einem "Ausstellungsraum" zum nächsten bewegen, um dort, in nachgebauten Dörfern, Familien bei ihrem Alltag zu beobachten.  Die "Wilden"


mussten hierbei oftmals unbekannte Rituale in Szene setzen, um eine vermeintliche Authentizität zu suggerieren. Dabei war alles von Veranstaltern bis ins kleinste Detail geplant, um die


Stereotype, die Deutsche schon aus Erzählungen und Berichten kannten, zu verfestigen.  Das afrikanische Viertel ist eines der vielen Überbleibsel, die im Berliner Stadtbild an die deutsche


Kolonialzeit erinnern. Aber nur wengie wissen um seine Bedeutung. Wie auch? Die meisten Deutschen haben keine Ahnung von ihrer eigenen Kolonialgeschichte. Der Nationalsozialismus steht in


Schulen jährlich auf dem Lehrplan. Was Deutschland in seinen Kolonien in Afrika, in Asien und dem Pazifik zu verantworten hat, erfahren Schüler kaum. Die Folgen davon spüre ich bis heute. 


DER UMGANG WEISSER DEUTSCHER MIT THEMEN DER KOLONIALZEIT IST OFT UNBEDARFT, VIELE SIND SICH DER HERKUNFT VON STEREOTYPEN UND BEGRIFFEN KAUM BEWUSST – UND NUTZEN SIE EINFACH WEITER.  DAS


N-WORT Es gibt nicht viele Begriffe, die in der Diskussion um politisch korrekte Sprache mehr polarisieren als das N-Wort: "Das ist doch keine Beleidigung", "Schwarz zu sagen


ist ja wohl eher rassistisch", "Ich werde weiterhin N-kuss sagen". Das sind nur ein paar der Sätze, die bei diesen Debatten vor allem von weißen Menschen gerne in den Raum


geworfen werden: in Talkshows, Zeitungsartikeln und im Alltag.  BENTO GIBT ES AUCH ALS APP! Wir pushen dir die besten Storys aufs Handy. Hier kannst du die App kostenlos runterladen: Android


  | iOS  Dass das Wort eng an die deutsche Kolonialgeschichte gebunden ist, wird bewusst ignoriert oder ist unbekannt. Wer die Werke ehemaliger Kolonialisten liest, wird schnell merken, dass


das N-Wort nie eine wertungsfreie Bezeichnung für schwarze Menschen war. Oder war der Kolonialist Carl Peters, nach dem eine der Straßen im Wedding ursprünglich benannt war, nur deskriptiv,


als er behauptete, der N***** sei "der geborene Sklave, dem ein Despot nötig ist wie dem Opiumraucher die Pfeife [...] Er ist verlogen, diebisch, falsch und hinterhältig"? Das


N-Wort sollte schwarze Menschen schon immer zu Untermenschen degradieren und sie strikt trennen von der sogenannten Herrenrasse. Schwarze Menschen haben das Wort auch schon immer verurteilt


(IDS ). Es wollte nur keiner hören.  Sie wurden nicht durch eine neue Kultur der politischen Korrektheit dazu verleitet, wie es so oft heißt. Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland


  veröffentlicht dazu seit Jahren regelmäßig Statements. Wer darauf pocht, dieses Wort weiterhin zu benutzen, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er oder sie sei rassistisch. Es gibt


keine Rechtfertigung.  ERSCHRECKEND: So haben junge Menschen das N-Wort zum ersten Mal gehört "DARF ICH MAL ANFASSEN?" Der Autor und Schauspieler Theodor Wonja Michael, 1925


geboren, hat als Kind selbst in Völkerschauen mitgemacht. In seinem Buch "Deutsch sein und schwarz dazu " beschreibt er die Geschichte seiner Familie – und das Trauma, das diese


Ausstellungen hinterlassen haben. Der Deutschen Welle  erzählte er, er erinnere sich noch daran, wie wildfremde Menschen ihm mit den Fingern durch seine gekräuselten Haare gefahren seien:


"Sie rochen an mir, ob ich echt sei, sprachen in gebrochenem Deutsch und in Zeichensprache mit mir." Wer Afro trägt, weiß, dass die Frage "Darf ich mal anfassen?" von


Fremden noch heute alltäglich ist. Wenn die Antwort "nein" lautet, ist das Verständnis dafür oft begrenzt.  AUCH REDAKTEURIN THEMBI KENNT ES: Alltagsrassismus: Nein, du darfst


meine Haare nicht anfassen Dabei steckt in dieser Haltung – wenn auch sicher nicht immer bewusst – die Annahme, dass der Mensch mit Afro kein Individuum ist, das sich Nähe und Distanz


wirklich aussuchen darf. Mit einer solchen Attitüde begegnet eigentlich kaum ein weißer Erwachsener anderen weißen Erwachsenen - sondern Kindern. Und Tieren. "EXOTISCHE LADYS"


Schwarze Frauen wurden in der Kolonialzeit stark sexualisiert, beschreibt die Afrikanistin Marianne Bechhaus-Gerst im Deutschlandfunk : "Die schwarze Frau war sehr stark Symbol von


übermäßiger Sexualität, als Verführerin wurde sie dargestellt, vor allen Dingen auch als Verführerin des weißen Mannes, der in die Kolonien ging." Dieses Bild prägt das Denken vieler


bis heute: "Ich wollte schon immer Mal was mit 'ner Schwarzen haben" ist ein Satz, den schwarze Frauen vor allem von weißen Männern regelmäßig zu hören bekommen. Oft schon als


Einstieg ins Gespräch. Als seien wir ein sexuelles Experiment, das jeder im Leben einmal ausprobiert haben muss, und keine Individuen. Oder auch das vermeintliche Kompliment: "Schwarze


Frauen sind so schön kurvig". Eine Generalisierung, die schwarze Frauen nicht nur auf ihre Körper reduziert, sondern auch unter Druck setzt, da Überraschung, nicht jede von uns einen


Hintern wie Beyoncé hat. "Latinas sind so exotisch!" - Warum auch positive Vorurteile verletzend sind "Eine Asiatin habe ich noch nie geküsst": Wie sich Rassismus auf


Tinder anfühlt AUFKLÄRUNG! JETZT! Berlin ist mein Zuhause. Trotzdem werde ich in meiner Stadt und von den Menschen um mich herum regelmäßig daran erinnert, dass für mich kein Platz in der


Mitte der Gesellschaft vorgesehen war – sondern ganz unten.  Das wird sich auch nicht ändern, solange Deutschland sich nicht mit seiner Kolonialgeschichte befasst und sich seiner Bringschuld


gegenüber den ehemaligen Kolonien bewusst wird: solange der Genozid an den Herero und den Nama keinen Platz im kollektiven Gedächtnis dieses Landes findet; solange die Entstehung von


Rassenlehre und die Völkerschauen kein Thema sind und solange despotische Kolonialisten nicht aufs Schärfste geächtet werden, kann man nicht davon ausgehen, dass Menschen ihre Vorurteile als


solche erkennen und hinterfragen.  Und so lange wird mir manchmal schlecht werden, wenn ich durch die Straßen im Berliner Wedding spaziere. Ich werde wütend sein, wenn Fremde durch Afros


wuscheln, deprimiert, wenn sogenannte Intellektuelle das N-Wort verteidigen und genervt, wenn ich mal wieder als sexuelles Objekt angesprochen werde, nicht als Person.