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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Vor dem
Landgericht München II begann im Januar 2012 ein spektakulärer Mordprozess. Zwei Mädchen im Alter von acht und elf Jahren waren im Jahr zuvor, in der Nacht zum 24. März 2011, in der Wohnung
ihrer Mutter in Krailling auf brutale Weise ermordet worden. Die unbegreifliche Tat erschütterte die Menschen in der bayerischen Landeshauptstadt. Die Mutter hatte die Kinder abends zu Bett
gebracht, ehe sie die Wohnung verließ, um in einem Lokal in der Nähe zu arbeiten. Als sie nachts zurückkehrte, fand sie einen Tatort vor, der darauf schließen ließ, dass die Kinder in
Todesangst verzweifelt um ihr Leben gekämpft hatten, ehe der Täter sie drosselte, auf sie einschlug und schließlich erstach. Angeklagt war Thomas S., ein gelernter Postbote, mit dem die
Schwester der Mutter verheiratet war - der Onkel der Opfer. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, aus Habgier heimtückisch getötet zu haben. Denn die Familie von Thomas S. befand sich in
finanziellen Schwierigkeiten, denen die Schwester der Ehefrau hätte möglicherweise abhelfen können, dies aber zum erwarteten Zeitpunkt nicht tat. PARALLELEN ZUM NSU-PROZESS Rasch geriet S.
unter Verdacht, bestritt aber, das Verbrechen an den Kindern begangen zu haben. Von Beginn des Prozesses an schwieg er. Je mehr Zeugen, Ermittler und Gutachter aber vom Gericht gehört und je
mehr Beweismittel vorgelegt wurden, desto klarer wurde, dass S. die Kinder ermordet hatte. Ende März schien es für den schweigenden Angeklagten keine Möglichkeit mehr zu geben, einer
Verurteilung zur Höchststrafe zu entgehen. Das Gericht kündigte an, die Beweisaufnahme schließen zu wollen. Da ergriff S. plötzlich das Wort - ohne Absprache mit seinen Verteidigern Adam
Ahmed und Eva Gareis. Es war eine absurde Situation: Da redete sich ein Angeklagter um Kopf und Kragen, stritt ab, was längst nicht mehr zu bestreiten war, beschuldigte die Ermittler der
Manipulation und Unfähigkeit und verfing sich in hanebüchenen Ausreden. Und Verteidiger Ahmed musste im Gerichtssaal erklären, die Verteidigung sei es nicht gewesen, die mit dem Angeklagten
diese Aussage besprochen habe. In der Urteilsbegründung sagte damals der Vorsitzende Richter Ralph Alt, wenn das Gericht noch irgendeinen Zweifel an der Schuld von S. gehabt hätte - mit
dieser Aussage wäre er ausgeräumt worden. S. wurde denn auch zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt. Inzwischen ist bekannt, wer Thomas S. damals
hinter dem Rücken seiner Verteidiger beraten hatte, von der Schweigestrategie abzuweichen: Rechtsanwalt Hermann Borchert. Münchner Strafverteidiger sehen heute Parallelen zum NSU-Prozess, wo
Borchert sich zur Überraschung der angestammten Verteidiger Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl vor wenigen Tagen erst als Wahlverteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe
auswies, um nach bald 250 Verhandlungstagen einen ähnlichen Strategiewechsel in der Verteidigung anzukündigen. Ohne bisher an einem einzigen Sitzungstag teilgenommen zu haben. DIE
DOKTORFRAGE Noch etwas fällt im Zusammenhang mit dem Namen Borchert auf: Wer im Internet nach ihm forscht, stößt auf verschiedene Titel: zum Beispiel Dr. Borchert. Oder JUdr. Borchert. Oder
juDr. Borchert. Auf Anfrage erklärte der Anwalt, sich dazu nicht äußern zu wollen, "um jede Spekulation auszuschließen". Unterschrieben hat er die Auskunft mit "Dr. Hermann
Borchert". Auf seiner offiziellen Kanzleiseite und seinem Briefkopf führt der Anwalt den Titel JUDr. Dies ist so etwas wie ein kleiner Doktorgrad der ehemaligen CSSR, den es heute noch
in Tschechien und der Slowakei gibt. Es handelt sich um einen akademischen Grad, der im Original als "Doktor práv" (übersetzt "Doktor der Rechte") verliehen wird. Im
Herkunftsland werden die Gradinhaber als Doktor angeredet, ebenso in Österreich. Der Erwerb dieser Grade bürgt allerdings nicht für eigenständige wissenschaftliche Forschung. Mit dem
deutschen Doktorgrad ist der JUdr. nicht zu vergleichen. Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Bamberg entschied in einem Urteil vom 25. Mai 2011, dass das Führen eines Doktortitels, der
mit dem deutschen Doktorgrad nicht zu vergleichen ist, als "irreführende Werbung" anzusehen sei. Sofern Borchert keinen Doktortitel in Deutschland oder einer sonst anerkannten
Universität erworben haben sollte, darf er den Titel JUdr. also nicht in Form des Dr. führen. Nach Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 des "Deutsch-Slowakischen Abkommens über die gegenseitige
Anerkennung der Gleichwertigkeit von Bildungsnachweisen im Hochschulbereich" dürfen die Inhaber solcher Grade und Titel der Slowakischen Republik diese hierzulande nur in der Form
führen, wie sie in der Slowakei verliehen wurden. Dazu gehört der Doktor der Rechte und zwar mit dem Namen der verleihenden Hochschule als Herkunftszusatz. "FÜR SIE IMMER NOCH DR.
BORCHERT!" Aus dem Abkommen ergibt sich zudem die fehlende Gleichartigkeit des JUDr. oder Dr.práv. im Vergleich zum deutschen Doktortitel. Wird dieser durch eine Promotion erworben,
befähigt im Vergleich dazu der ausländische JUDr. erst zur Promotion. Auf offiziellen Dokumenten achtet Borchert offensichtlich darauf, sich nicht einen Titel anzumaßen, den er nicht hat.
Weitestgehend zumindest: Den Namen der Hochschule nennt er nicht. In Branchendiensten wie anwaltsinfos.de , anwalt24.de und im Anwaltsverzeichnis von Foris wird er allerdings mit dem
deutschen Doktortitel geführt. Die Münchener Rechtsanwaltskammer, die sonst ein scharfes Auge auf dieses Thema hat, nennt in ihrem Mitgliederverzeichnis eine E-Mail-Adresse mit
"dr.borchert@". Ein Münchner Strafverteidiger erinnert sich an ein Verfahren, in dem er mit dem Mitverteidiger Borchert aneinandergeriet. "Für Sie immer noch Dr.
Borchert!", habe ihn der Kollege in öffentlicher Sitzung angeherrscht. Mitarbeit: Björn Hengst