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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Weil er keine Maske trug, verwehrte ein Tankstellen-Mitarbeiter Mario N. den
Bierkauf. Der 49-Jährige, der nach SPIEGEL-Informationen für sich als »Softwareentwickler aus Leidenschaft« wirbt, kam zurück – und schoss dem 20-jährigen Studenten in den Kopf. Nach seiner
Festnahme begründete N. den Schuss mit Frust über die Pandemie und deren Regeln. Er habe sich in die Ecke gedrängt gefühlt und »keinen anderen Ausweg gesehen«, als ein Zeichen zu setzen,
sagte Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann. Das Opfer schien ihm »verantwortlich für die Gesamtsituation, da es die Regeln durchgesetzt habe.« Doch war das der wirkliche Grund? Der anerkannte
Kriminalpsychologe Rudolf Egg dringt darauf, das Aggressionspotenzial des Täters genau zu untersuchen. »Man muss bei einer Tat immer unterscheiden zwischen dem unmittelbaren Anlass und dem
eigentlichen Grund«, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. »Was da wirklich an diesem Tag und an diesem Abend war, worüber er sich noch geärgert hat«, sei noch völlig unklar. Möglicherweise
habe der Verdächtige ganz andere Gründe als die Coronaauflage gehabt. AUF TELEGRAM AKTIV »Niemand, der auch nur halbwegs vernünftigen Verstandes ist, wird einen ihm völlig unbekannten jungen
Mann einfach deshalb erschießen, weil er sagt: ›Du musst jetzt eine Maske aufsetzen!‹«, sagte der frühere Direktor der Kriminologischen Zentralstelle des Bundes und der Länder. »Das ist
kriminalpsychologischer Nonsens.« Bei den Entstehungszusammenhängen der Tat müsse man »sehr, sehr aufpassen«, mahnte Egg. »Manchmal ist es nur zeitlich miteinander verknüpft, ohne wirklich
ursächlich zu sein.« Der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, könne nicht als die Ursache angesehen werden. »Da wäre im nächsten Moment was anderes der Fall gewesen.«
Inzwischen häufen sich die Hinweise, dass der Maskenstreit in der Tankstelle für Mario N. nicht bloß der letzte Tropfen war. Aus Ermittlerkreisen ist zu vernehmen, dass der Mann in den
Theorien der Coronaleugner »bewandert« gewesen sei. Mehr Klarheit erhoffen sich die Strafverfolger vor allem von der Auswertung der sichergestellten elektronischen Geräte. Für eine weitere
Radikalisierung spricht, dass N. nicht nur den einen Revolver, sondern noch weitere Waffen und Munition bei sich lagerte. Wie er an die Waffen kam und woher sie stammen, ist noch unklar.
»Die Waffen hat er nicht legal besessen«, sagte Oberstaatsanwalt Fuhrmann. Mario N. war im sozialen Netzwerk Telegram aktiv – einem auch unter Verschwörungsideologen beliebten Kanal. N.s
Profilspruch bei dem Messenger-Service: »Ignorance is the most dangerous type of stupidity« (»Unwissenheit ist die gefährlichste Form der Dummheit«). Nach gemeinsamen Recherchen des SPIEGEL
und des auf Verschwörungsideologien spezialisierten Thinktanks CeMAS fiel Mario N. bereits vor zwei Jahren auf einem Twitter-Profil mit nebulösen Gewaltfantasien auf. »Ich freue mich auf den
nächsten Krieg. Ja, das mag sich jetzt destruktiv anhören, aber wir kommen aus dieser Spirale einfach nicht raus«, schrieb N. im September 2019 auf Twitter. In seinem letzten Tweet auf dem
Profil einen Monat später dann: »Meine Muskeln sind gespannt, mein Geist geschärft. Gnade denen, welche diese Situation heraufbeschworen haben. Oder nein, Gnade wäre unrecht«. Angesichts der
steten Eskalation von Verschwörungsideologien in den vergangenen Wochen sei der kaltblütige Mord für ihn nicht überraschend, sagte der Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan
Kramer, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland . Er und seine Kollegen hätten vor dem Aggressionspotenzial gewarnt: »Bedauerlich ist, dass es immer erst Tote geben muss, bevor die Gefahr ernst
genommen wird«. Laut Staatsanwaltschaft war der 49-jährige mutmaßliche Mörder noch nie bei der Polizei aufgefallen, auch nicht als Teilnehmer etwa einer Pandemieleugner-Demonstration. Eine
Anfrage des SPIEGEL zu den Vorwürfen gegen seinen Mandanten ließ der Rechtsanwalt von Mario N. bislang unbeantwortet. rol/apr/mfu/rho/dpa