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Eigentlich ist es zwischen Matthew und Sandrine ganz einfach: Sie sind verliebt. Sehr sogar. Sie sehen sich täglich, manchmal gucken sie DVD zusammen, oft frühstücken sie gemeinsam, ab und
an verabreden sie sich zum Tee. Dann träumen sie von der Zukunft, von gemeinsamen Reisen und innigen Küssen im Sonnenuntergang.
Und abends, da nimmt Sandrine ihren Matthew mit ins Bett. Dann zieht sie den Stecker raus, stöpselt ihn am Bett wieder ein, schlägt die Decke zur Seite und stellt ihren Freund neben sich.
Sandrines und Matthews Liebe besteht derzeit aus einem Datenstrom zwischen zwei Laptops, aus zwei pixeligen Skype-Videobildern und aus der Hoffnung, sich bald wiederzusehen. Bis dahin trägt
Sandrine ihren Computer durch die Wohnung. Zum Sofa, zum Frühstückstisch und abends ins Bett. Morgens weckt Matthew Sandrine nicht mit einem Kuss, sondern über Skype, das beide die ganze
Nacht laufen lassen. Sie kaufen sich DVDs immer doppelt, damit sie zusammen Filme schauen können: er in Dubai, sie in Hamburg.
Denn nirgendwo sind Anbandeln und unverfängliches Rumknutschen so einfach wie in internationalen Studentenwohnheimen, ob in Rom oder in Helsinki. Unterwegs im Auftrag der
grenzüberschreitenden Bildung wird geflirtet und fremdgegangen.
Doch wenn aus Spaß Ernst, aus Flirten Liebe wird, dann sitzt man plötzlich im Flugzeug, und es fliegt in die falsche Richtung. Es fliegt nach Hause, weg von dem, bei dem man so gern wäre. Im
Kopf rotieren dann die offenen Fragen. Roamingpreise. Visaregeln.
Johannes musste nicht einmal ins Flugzeug steigen, um sich all das aufzuhalsen. Es reichten die S-Bahn, ein Hostel in Hamburg und eine schwer schließende Tür. Vor dieser stand er mit einer
Gruppe japanischer Austauschstudenten. Johannes hat Japanisch in der Schule gelernt und spricht es fließend, seit er als Teenager schon einmal eine japanische Freundin hatte. Er weiß:
Deutsche Schließsysteme und Japaner, das passt einfach nicht zusammen.
"Bei deutschen Türen muss man erst drücken, dann Schlüssel drehen, dann ziehen", sagt Johannes, "in Japan muss man weder drücken noch ziehen, und den Schlüssel dreht man genau andersrum."
Johannes macht vor, wie's geht. Alle brauchen ein paar Anläufe, bis es klappt. Dann kommt Yuki dran, damals 23 Jahre, freche kurze Haare. "Bong", sagt Johannes, "da war die Tür offen."
Er erinnert sich nicht genau, ob er sich da schon verliebt hat. Aber in dem Moment war ihm jedenfalls klargeworden, dass Yuki keine typische Asiatin ist, nicht so zurückhaltend, nicht so
vorsichtig. "Nie wieder eine Japanerin", hatte er sich nach seiner ersten Freundin aus Fernost gesagt. "Die ganzen Probleme, das kann man durch Liebe gar nicht aufwiegen."
Jetzt ist Yuki wieder in Tokio, sie ist gerade mit der Uni fertig. Johannes weiß nicht, ob er in Japan arbeiten könnte, ihn stören die langen Arbeitszeiten, der kurze Urlaub. "Und als
Ausländer wird man lange nicht ernst genommen."
Nach seiner Promotion will Johannes vielleicht trotzdem nach Japan ziehen. Er mag das japanische Essen, er kann Hijiki-Algen einwandfrei von Kombu-Algen unterscheiden. Er mag das Abenteuer,
er mag Yuki, und er mag daran glauben, dass er zurechtkommen wird. Die japanische Kultur, sagt er, funktioniere wie ein Strategiespiel. Man muss immer erahnen, was der andere gerade denken,
fühlen, wollen könnte. Direkt zu sagen, was man will, das macht man in Japan nicht.
Er ist froh, dass Yuki da ein bisschen frecher ist. Trotzdem muss sie noch lernen, wie man in Deutschland zu Wort kommt. "Wenn einer eine Pause beim Sprechen macht, dann - zack! - muss man
dazwischengehen", sagt Johannes. Das ist für Yuki brutal unhöflich. Also sagt sie manchmal gar nichts, was für Johannes wiederum, wie er sagt, "brutal anstrengend" ist. "Deutsche werden
unruhig, wenn jemand gar nichts sagt."
Gut, dass Yuki nicht mit Paulo zusammen ist. Paulo redet gern, und zwar, wenn es sein muss, so lange synchron mit einem Gegenpart, bis dieser aufgibt. Das ist ganz normal in Portugal, seiner
Heimat. Da Paulo aber nicht nur das Reden liebt, sondern auch Jenni aus Hamburg, reißt er sich manchmal zusammen.
"Wenn wir zu zweit sind, dann kann man sich durchaus gesittet unterhalten", sagt Jenni, die Erasmus-Studentin in Portugal war. "Aber wenn er mit anderen zusammen ist, geht er voll mit. Mir
ist das zu anstrengend, da schalte ich ab."
Abschalten, das ist für Verliebte in Portugal sonst nicht so einfach. Wenn man sich dort mit der neuesten Eroberung an den Frühstückstisch setzt, muss man nämlich damit rechnen, dass man
neben einem heißen Galão, dem heimischen Milchkaffee, auch Mama, Papa, Oma und sonstige Verwandte antrifft. Schließlich wohnen die meisten Studenten noch bei ihren Eltern.
"Schrecklich" fand Jenni das anfangs. Seit sie mit Paulo zusammen ist, der gerade wieder bei seiner Mutter lebt, hat sie ihre Meinung geändert. "Die meisten haben nicht das Geld, um
auszuziehen." Jenni wohnt wie ihre Eltern in Hamburg, jedoch schon lange in der eigenen Bude. "Das war für ihn wiederum nicht vorstellbar", sagt Jenni. "Allein, findet Paulo, muss es doch
total langweilig sein."
Jenni dagegen findet er gar nicht langweilig. Eher zu draufgängerisch, wenn sie auf fremde Leute trifft. "Ich dachte immer, alle Südländer wären sehr offen", sagt Jenni. "Aber Portugiesen
sind eher hanseatisch. Und ich, die Hamburgerin, schnattere sofort drauflos." Da gab es erst einmal ein paar Missverständnisse. Jenni, so erschien es Paulo, flirtet ja mit jedem.
1,4 Millionen Deutsche haben mittlerweile einen ausländischen Partner, jede sechste Hochzeit in Deutschland ist binational, Tendenz steigend. Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass solche
Ehen häufiger geschieden werden.
Daran glaubt auch Tina. Sie sitzt in einem Café in Dessau, etwas glücklich, etwas traurig und ziemlich geschafft. Sie hat gerade eine diplomatische Meisterleistung vollbracht. Vor ihr liegen
Fotos, zwei Wochen alt. Darauf fröhliche dunkelhäutige Menschen und eine hübsche junge Frau im Brautkleid.
450 Gäste waren zu Tinas Hochzeit mit Sameh ins Nildelta gekommen. Sameh ist der Sohn von Ahmed und Soheir, ägyptischen Bauern. Die Ehegatten für Samehs Schwestern haben sie ausgewählt.
Freitags gehen Ahmed und Soheir in die Moschee. Tina ist die Tochter von Heike und Klaus-Peter aus Dessau. Heike und Klaus-Peter gehen nie in die Kirche. Früher, in der DDR, gingen sie
gemeinsam an den FKK-Strand.
"Wir wollten, dass sich bei unserer Hochzeit alle mit uns freuen können", sagt Tina. Samehs Eltern, die Angst haben, dass ihr Sohn für immer das Land verlässt, und ihre Eltern, die damals,
als Tina nach dem Abi als Animateurin nach Ägypten ging, noch sagten, sie solle sich dort bloß keinen Freund anschaffen.
Schon die Auswahl des Kleides war kompliziert. In Ägypten tragen die Bräute weiße Bodys unter den Kleidern, damit die Arme bedeckt sind. "Wenn ich das gemacht hätte, hätten meine deutschen
Verwandten gesagt: O Gott, jetzt muss sie sich verschleiern." Tina entschied sich für einen Bolero.
Es ist vier Jahre her, als sich Sameh, studierter Sportlehrer, ein großer Mann mit strahlendem Lächeln, und Tina bei der Arbeit in einem Hotel in Hurghada treffen. Sameh ist da noch
Jungfrau. Für ihn hat Sex eine andere Bedeutung als für die meisten deutschen Jungs. Er will warten, bis er die Frau trifft, die er heiraten will.
Die beiden verlieben sich sofort, obwohl Sameh damals kaum Englisch spricht. Sechs Monate später bringt er seine Tina zum Flughafen nach Kairo. Tina weint nicht. Sie heult.
Als sie zu Hause ihren Eltern sagt, dass sie einen ägyptischen Freund hat, sind die total geschockt. Aber sie hoffen, dass es schon wieder vorbeigehen wird. Sie setzen auf das Studium und
attraktive Kommilitonen. "Da gab es damals eine riesige Distanz zwischen uns, weil sie meine Beziehung nicht ernst genommen haben", sagt Tina. Immer wieder muss sie sich Geschichten anhören
über muslimische Männer, die ihre Frauen schlagen und ihre Kinder entführen. "Wenn es das Buch 'Nicht ohne meine Tochter' nicht gäbe, wäre mein Leben leichter."
Tina ist jetzt verheiratet und weiß trotzdem nicht, wann sie Sameh wiedersehen wird. Solange sie noch studiert, bekommt er wohl kein Visum. Sie muss erst so viel Geld verdienen, dass sie
Sameh und sich ernähren kann. Dann wollen beide ein paar Jahre in Deutschland arbeiten, Geld sparen und später nach Ägypten ziehen.
Europa kennt Sameh bisher nur von den Touristen im Hotel. Er war noch nie außerhalb Ägyptens, und die Urlauber erschienen ihm sehr fremd, zum Beispiel, wenn die Männer vor ihren Freundinnen
auf die Knie gingen, um einen Antrag zu machen. "Wie kann man vor einer Frau niederknien?", fragte Sameh damals. "Das würde ein Ägypter nie tun."
Tinas Eltern machen sich immer noch Sorgen. Aber bei der Hochzeit sagte ihr Vater, dass er sie gern an Sameh übergebe. "Ich sehe, wie glücklich du bist." Man hört in Tinas Stimme, wie viel
ihr das bedeutet.
Auch Alexandras Eltern sorgen sich. Denn ihre Tochter will in eine der gefährlichsten Gegenden der Welt ziehen. "Wenn Diego mir ein Klassenfoto von früher zeigt", erzählt Alexandra, "dann
sagt er: Der dealt mit Drogen, der da arbeitet für die Mafia, der wurde ermordet."
Diego kommt aus Mexikos Norden. Seit Jahresanfang sind dort mehrere tausend Menschen getötet worden. Alexandra kommt aus Tuttlingen. Dort hat letztens jemand die Kerzen aus der Kirche
gestohlen.
Diego studiert Maschinenbau, genau wie Alexandra. Als er als Austauschstudent nach Deutschland kommt, fällt Alexandra ihm sofort auf, er aktiviert sein Charmeprogramm. "Mexikanische Männer
sind aufmerksamer als Deutsche", sagt Alexandra. Diego macht ihr kleine Geschenke, steckt ihr Briefe an die Windschutzscheibe ihres Autos.
Heute sind die Mitteilungen selten. Denn heute liegt der Atlantik zwischen Alexandra und Diego und acht Stunden Zeitverschiebung, das macht das Telefonieren schwierig. Alle drei Wochen
sprechen sie. "Manchmal entdecke ich auf Facebook Fotos, auf denen er ein anderes Mädel umarmt", sagt Alexandra. "Da muss man sich schon zusammenreißen."
Binationale Beziehungen brauchen mehr Vertrauen, mehr Kompromisse und vielleicht auch mehr Liebe. "I believe in true love", steht auf der Facebook-Seite von Sameh, dem Ägypter. Für seine
Liebe will er alles tun.