Hamburger sänger und songwriter: nils koppruch ist tot

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Hamburg/Berlin - "Ich sing vor deinem Fenster, und der Regen lässt nicht nach/ Und eine Stimme ruft von oben: Falsches Fenster, falscher Tag", sang Nils Koppruch 2010 in seinem


Lied "Die Aussicht". Damals hatte der Hamburger Musiker und Songwriter gerade sein zweites Soloalbum "Caruso" veröffentlicht, eine durchaus launige, sehr burleske Platte.


Doch selbst wenn er sich zuletzt in seinen Texten immer mehr Lebensfreude zutraute, eine grundsätzliche Melancholie, ein lakonisches Hadern mit dem Schicksal blieb seinen Liedern stets zu


eigen. Am Mittwoch ist der Hamburger Musiker im Alter von nur 46 Jahren verstorben, wie SPIEGEL ONLINE von Mitgliedern seiner aktuellen Band erfuhr. Die Hansestadt trauert um einen ihrer


besten Songpoeten. Nils Koppruch kam erst spät zur Musik. Als Zivildienstleistender jobbte er in einem linken Kinderladen, machte eine Ausbildung zum Koch und sein Abitur auf dem zweiten


Bildungsweg. Den Hamburger Kiez, den Stadtteil St. Pauli und die Reeperbahn, in deren unmittelbarer Nähe er wohnte, nannte er seine Heimat, dort unterhielt Koppruch auch ein kleines Atelier,


wo er unter dem Pseudonym SAM seine inzwischen in der alternativen Kunstszene sehr gefragten Gemälde und Skulpturen ausstellte und zum Verkauf anbot. Erst vor wenigen Wochen hatte Koppruch


zusammen mit seinem Freund und Kollegen Gisbert zu Knyphausen das erste Album ihrer gemeinsamen Band Kid Kopphausen veröffentlicht. Mitte der Neunziger hatte Koppruch die Band Fink


(Englisch: Verräter) gegründet, um seine Version amerikanischer Volksmusik zu spielen. 2005 löste sich die Gruppe nach sieben vielfach bestaunten und bejubelten Alben auf, Koppruch machte


kurz darauf als Solo-Künstler weiter. Johnny Cash habe ihm die Augen darüber geöffnet, dass Country-Musik "nicht gleich Roger Whittaker" sei, sagte er einmal der "Zeit".


Es waren vor allem Koppruchs poetische Texte, die Finks Musik zu einer zauberhaften Übersetzung amerikanischer Folklore in eine ganz eigene, schwarz und geheimnisvoll schimmernde deutsche


Volksmusik machten. Johnny Cash trifft E.T.A. Hoffmann. DAS LOCH IN DER WELT In Koppruchs Liedern ging es oft um die Weiten der Welt, die mit den Nickeligkeiten des Alltags kollidierten. Von


großer Euphorie stürzten diese Lieder manchmal binnen weniger Verse in tiefste Traurigkeit: "Jeder Tag ruft deinen Namen/ Ich wünsch' Glück an allen Tagen/ Nichts ist besser als


eine Liebe auf der Welt/ Kirschen gibt's an Sommertagen nur, solang die Bäume tragen/ und lebend gehen wir nicht mehr aus der Welt", sang er 2010 in "Kirschen". Koppruchs


Kunst als Songwriter bestand darin, der Schmalzigkeit, die der Schwermut stets innewohnt, mit trockenem Scherz zu begegnen. Dem Americana-mythischen Teufel an der Straßenkreuzung lachte er


mit verwegenem Blick ins Gesicht: "Ich hab das Loch in der Welt gesehen/ Ich hab reingeschaut/ Jetzt weiß ich, wo sie den Tag andrehen/ Und wer die Stunden zerkaut", sang er in


einem der frühen Fink-Songs. Koppruch wehrte sich stets dagegen, zu viel Persönliches, Biografisches in seine Texte hinein zu interpretieren, er verstand sich als Geschichtenerzähler, als


"umrankten Großstadtcowboy", der den Leuten auch mal einen vom Pferd erzählt. Songs zu schreiben, sagte er der "Welt", sei für ihn eine Art Notwehr, "etwas, das ich


machen muss, um mir die Welt griffig zu machen". Dabei sog er die Welt förmlich in sich auf. Wer Koppruch im Hamburger Nachtleben begegnete, konnte sich mit ihm über Gott und die Welt


unterhalten. Sein Wissen war frappierend, seine Neugier schier grenzenlos. Was er nicht verstand, wollte er sich erarbeiten. So konnte es vorkommen, dass man mit ihm bis in den frühen Morgen


zusammensaß, viel Gras rauchte und ihm Freejazzplatten vorspielte - obwohl er Freejazz eigentlich blöd fand. Gleichzeitig schien Koppruch ständig zu arbeiten. War er nicht im Studio oder


auf Tour, malte er in seinem Souterrain-Atelier auf Hamburg-St.-Pauli. Seine rustikal-geheimnisvollen Panoramen fertigte er bei Bedarf in schneller Taktung an. In Summe dürften über die


letzten zehn Jahre mehrere tausend SAM-Kunstwerke entstanden sein. Nils Koppruch ist in der Nacht zu Mittwoch in seiner Hamburger Wohnung gestorben. Die Todesursache ist derzeit noch nicht


bekannt. Er hinterlässt eine Ehefrau und einen kleinen Sohn.