"b-movie - lust & sound in west-berlin": "alles war geil"

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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Man muss


dabei gewesen sein. Dieser Satz ist eine Floskel. Eine Floskel, die sich sogar in einer Kultur hält, welche die faule Version der Zeitmaschine, YouTube, hervorgebracht hat. Eine


Zeitmaschine, die man oft nutzt und trotz der man sich doch danach sehnt, den warmen Atem der Momente, in denen Geschichte geschrieben wurde, im eigenen Gesicht zu spüren. Das West-Berlin


der Achtzigerjahre ist ein Ort, über den man Menschen jene Floskel sagen hört. Ein Ort des Exzesses. Ein Ort des Experiments. Eine magische Verwebung aus Zeit und Raum. Dieses verblichene


West-Berlin, eine Insel der Kreativität, ist das Thema des Dokumentarfilms "B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979-1989". Dafür haben die Filmemacher Jörg A. Hoppe, Klaus


Maeck und Heiko Lange teils noch unveröffentlichtes Archivmaterial zu einer Collage verarbeitet; zusammengehalten wird das Ganze durch die Erinnerungen eines kundigen wie flapsigen


Stadtführers, der im Grunde ein Fremder ist. Er heißt Mark Reeder, kommt aus Manchester und verlässt 1979 seine Heimat, Brutstätte der Punk-Avantgarde, um etwas Neues zu sehen. Der junge


Musikliebhaber Reeder geht also dorthin, wo man nicht ein Stück vom Kuchen will, sondern die ganze Bäckerei. Fotostrecke West-Berlin 1979-1989: Eine Insel der Kreativität Foto: DEF Media Am


Anfang von "B-Movie" sieht man, stets mit Reeders Kommentar versehen, das West-Berliner Chaos. Häuser wie Zombies. Ruinen, Dreck. Als wäre nichts passiert nach Mai 1945. Inmitten


der Zerstörung dröhnt es. Punks, die auf Tonnen schlagen. "Berlin war noch abgefuckter als Manchester", erzählt Reeder. WAS HINTER DER MAUER LIEGT, IST EGAL Reeder ist einer von


vielen Fremden, die diese "Halbstadt" fasziniert. Kurz nachdem Reeder an der vollgesprühten Berliner Mauer entlanggefahren ist, erhascht der Zuschauer weitere faszinierte Fremde;


eine Compilation aus Archivbildern in körniger Super-8-Ästhetik: Die britische Schauspielerin Tilda Swinton radelt vorbei, der US-Künstler Keith Haring bemalt die Mauer, der Franzose Thierry


Noir will dort ein Pissoir anbringen. Was hinter der Mauer lag, sei den meisten egal gewesen, sagt Reeder. Im West-Berlin der Achtziger habe die Mauer, absurd genug, den "Rahmen für


grenzenlose Freiheit" gebildet. Wie sieht diese Freiheit aus? Reeder macht sich auf die Suche. Dem Zuschauer liefert er Antworten in flüchtigen Schnipseln, "immer auf der Flucht


nach vorn". Seine eigenen Aufnahmen von damals mischen sich mit dem Material anderer Chronisten und Amateurfilmer dieser Zeit: Kurz nach Reeders Ankunft in West-Berlin fährt er durch


die Oranienstraße, wo die Frauen Kopftücher oder Nasenringe tragen, zieht wenig später in ein besetztes Haus, kriegt mit, wie Klaus-Jürgen Rattay 1981 während einer Demonstration tödlich


verletzt wird, stolpert von der Straße in Kneipen wie das "Risiko", in dem "einer der schrägsten Vögel", Blixa Bargeld, ausschenkt, oder Diskotheken wie den


"Dschungel", in dem David Bowie verkehrt. "Wir glitten wie auf Schienen durch die Nacht und schnieften billiges Speed", erinnert sich Reeder aus dem Off. "Alles war


geil." DIE LOVEPARADE KOMMT, DIE MAUER FÄLLT Die Liste der in "B-Movie" gezeigten Gesichter, die im Laufe der Zeit zu kultisch verehrten Masken geworden sind, wirkt endlos.


Hier, in den Achtzigern, sehen sie alle noch jung und unverbraucht aus: Die Ärzte, die sagen, dass sie Nena heiraten wollen. Nick Cave, der mit Blixa Bargeld einen "Krieg gegen


Schlaf" führt. Jörg Buttgereit, mit dem Reeder später Splatterfilme dreht. Martin Kippenberger, der im "SO36" tanzt. Westbam, der Ende der Achtziger den DJ zum neuen Popstar


erklärt. Mit der ersten Loveparade am 1. Juli 1989 und dem Fall der Mauer wenig später endet Reeders Erzählung. Und damit auch sein West-Berlin. "B-Movie" ist Geschichtsunterricht,


wie man ihn sich wünscht. Von einem Zeitzeugen erzählt, der zugibt, dass er nicht alles weiß. Ohne erhobenen Zeigefinger, mit Humor. Der Film verzichtet darauf, sich in erschöpfenden


Interviewsequenzen à la Guido Knopp zu verlieren. Im Hintergrund läuft immer der Soundtrack der Zeit. Und mal rattert ein Super-8-Projektor, mal rauscht eine Nadel auf Vinyl. Was man


vermisst, ist etwas mehr Mut. Hoppe, Maeck und Lange lassen Reeder brav von einer radikalen Zeit erzählen. Brüche in der Form hätten den Inhalt verstärken können. Schade auch, dass die


Grenze von "B-Movie" die Mauer ist. Man fragt sich gelegentlich, was zeitgleich im Osten geschah. "B-Movie" ist nicht nur Geschichtsunterricht, sondern auch ein Lehrstück


über gelebte Aussöhnung. Hier berichtet ein Fremder von der Faszination für einen Ort, der für seine Eltern fest mit Begriffen wie "Krieg" und "Feind" verknüpft war. Es


ist der Bericht eines postmodernen Abenteurers, der die Bräuche der Einheimischen lernen will, angelockt vom wilden Klang einer im Chaos geborenen Utopie. Ein in Zelluloid verpacktes


Plädoyer für die Verständigung. Muss man nun dabei gewesen sein, um das West-Berlin der Achtziger zu verstehen? In einem Interviewfetzen gibt Blixa Bargeld eine Art Antwort: "Ich halte


es für unmöglich, die Essenz von Berlin auf Film einzufangen." Er irrt sich. SEHEN SIE HIER DEN TRAILER ZU "B-MOVIE - LUST & SOUND IN WEST-BERLIN" DEUTSCHLAND 2015 BUCH


UND REGIE: Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck, Heiko Lange MIT: Mark Reeder, Blixa Bargeld, Gudrun Gut, Nick Cave, Annette Humpe, Westbam, Nena, Tilda Swinton VERLEIH: Interzone Pictures LÄNGE: 92


Minuten START: 21. Mai 2015 FSK: ab 16 Jahren B-Movie - Der Film