Schadet es, niesen zu unterdrücken?

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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Laut,


unkontrollierbar und eine Bazillenschleuder im wahrsten Sinne des Wortes: Niesen hat, spätestens seit die Pest wütete, ein Imageproblem. Wer vor gut 900 Jahren ein "Hatschi" von


sich gab, für den hatte Papst Gregor I. nur ein "Möge Gott dich segnen" übrig. Bis heute wünscht man sich im englischsprachigen Raum nach dem Niesen den Segen Gottes, als


Todesbringer gilt Niesen aber glücklicherweise nicht mehr. Statt der Pest werden hierzulande vor allem Erkältungs- oder Grippeviren übertragen. Etwa 40.000 Partikel fliegen beim Niesen mit


mindestens 150 Kilometern pro Stunde aus der Nase. Ausgelöst wird der Reflex beispielsweise durch Staubpartikel, die die Enden des Trigeminus-Nervs in der Nasenschleimhaut reizen. Der Nerv


leitet das Signal weiter ins Nieszentrum im Gehirn. Schon geht es los: Wie ferngesteuert holt man tief Luft, die Stimmlippen werden geschlossen und die Luft wird mit Hilfe der Atemmuskulatur


mit voller Kraft ausgestoßen - "Hatschi"! Das Ergebnis kann nicht nur ziemlich laut werden, sondern auch eklig. Aus hygienischer Sicht gibt es gute Gründe, sich beim Niesen die


Nase zuzuhalten. Aber schadet das womöglich der eigenen Gesundheit? MIT GROSSEM DRUCK GEGEN DRECK Beim Niesen mit geschlossenen Nasenlöchern und leicht geöffnetem Mund steigt der Druck in


der Nasenhöhle kurzzeitig stark an, berichten Murat Songu und Cemal Cingi vom Izmir Atatürk Research and Training Hospital in einem Übersichtsartikel . Die Werte sind dann etwa vergleichbar


mit dem Druck, der im Herzen eines Bluthochdruckpatienten herrscht, wenn sich der Herzmuskel maximal zusammenzieht. In der medizinischen Fachliteratur gibt es Berichte von Menschen, die taub


geworden sind, weil sie sich beim Niesen die Nase zugehalten hatten. Weitere Berichte handeln von Rissen in der Hauptschlagader, Blutgerinnseln im Gehirn oder Fehlgeburten. Bei anderen


Patienten gelangte durch gestoppte Nieser Luft in die Schädelhöhle. Irene Berres, Julia Merlot: MYTHOS ODER MEDIZIN Brauchen Wunden Luft oder Pflaster? Schadet es, mit den Fingern zu


knacken? Ist es gefährlich, Nieser zu unterdrücken? Die spannendsten Fragen und Antworten aus der beliebten Kolumne. Heyne Verlag; 224 Seiten; 8,99 Euro. Buch bei Amazon: Irene Berres, Julia


Merlot "Mythos oder Medizin" Buch bei Amazon: Irene Berres, Julia Merlot "Mythos oder Medizin" (KINDLE)  "Sich beim Niesen die Nase zuzuhalten, kann gefährlich


sein", bestätigt Werner Hosemann, stellvertretender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. "Häufig sind solche Fälle mit


ernsten Verletzungen aber nicht." Eine genaue Statistik fehlt. Schlussfolgern lässt sich aus den Fallbeschreibungen lediglich, dass man mit offener Nase sicherer niest - und auch


gesünder. Denn der Niesreflex erfüllt eine Funktion: Durch den großen Druck, mit dem die Luft aus der Lunge schießt, werden die Atemwege von Dreckpartikeln befreit, die sich sonst


möglicherweise in der Lunge festsetzen. EIN LICHTSTRAHL, EIN KRIBBELN - HATSCHI Bei Erkältungen oder Allergien niest man besonders häufig. "Dann ist die Schleimhaut gereizt und reagiert


besonders empfindlich", erklärt Hosemann. "Es gibt aber auch noch eine Reihe anderer Faktoren, die den Reflex auslösen." Etwa 25 von 100 Menschen müssen niesen, wenn sie ins


Licht schauen. "Warum das so ist, darüber weiß man bislang kaum etwas", sagt Hosemann. "Vermutet wird eine Verbindung zwischen dem Augenreflex und dem Nieszentrum."


Denkbar ist beispielsweise, dass der Lichtreiz bei den Betroffenen neben dem Sehnerv auch den Trigeminus-Nerv aktiviert. Dieser ist im Gesicht weit verästelt und leitet bei manchen Menschen


auch Signale ans Nieszentrum, wenn sie sich beispielsweise die Augenbrauen zupfen. Besonders kurios: "Offenbar gibt es ein paar Menschen, die niesen müssen, wenn ihre Magenwand gedehnt


wird", erklärt Hosemann. Einen erkennbaren Sinn hat das nicht, außer, dass jeder sofort erkennt, wann man satt ist. Für Gerede sorgte auch eine Studie von 2008. Im "Journal of the


Royal Society of Medicine"  berichten zwei Forscher, dass manche Menschen niesen müssen, wenn sie einen Orgasmus haben. Egal in welcher Situation, bevor man seine Mitmenschen mit


Bazillen beschießt oder eine Verletzung riskiert, kann man auch versuchen, das Niesen im Keim zu ersticken. Der perfekte Trick dafür fehlt allerdings: "In unpassenden Situationen


versuche ich das Kribbeln loszuwerden, indem ich die Nase mit den Fingern zusammendrücke", erzählt Hosemann. Manchmal funktioniere es, manchmal nicht. Andere probieren, den Reflex zu


unterdrücken, indem sie ihre Zunge an den Gaumen pressen. Hosemann winkt ab: "Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es überhaupt keine verlässliche Methode." FAZIT: DAS RISIKO, DASS


EIN UNTERDRÜCKTER NIESER DAS OHR SCHÄDIGT, IST GERING. DENNOCH SOLLTE MAN DEN DRUCK, WENN MÖGLICH, RAUSLASSEN. DAS REINIGT DIE ATEMWEGE. ZUM SCHUTZ ANDERER DABEI IMMER EIN TASCHENTUCH


BEREITHALTEN UND HÄNDE WASCHEN! _Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, die Luft werde beim Niesen mit Hilfe der Lungenmuskulatur ausgestoßen. Tatsächlich


handelt es sich aber um die Atemmuskulatur. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. _