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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Lange nicht beim Friseur gewesen? Daraus kann man doch was machen. So dachte
wohl vor einem halben Jahrhundert John Lennon, Musiker, Friedensapostel und Inhaber einer eindrucksvollen Kopfbewaldung. Er machte einen Deal: seine Haare und die seiner frisch Angetrauten
Yoko Ono gegen die Boxershorts von Muhammad Ali. Zum Tausch kam es am 4. Februar 1970, kurz vor Auflösung der Beatles, auf einem Dach in London. Dahinter steckte kein seltsamer Fetisch,
sondern schnödes Kommerzinteresse. Denn weder wollte Lennon das Höschen behalten, noch hatte der Boxchampion ernsthaftes Interesse an britischer Kopfbehaarung. Vielmehr war es ein
ausgeklügelter Plan zur Inszenierung prominenter Wohltätigkeit: Die Haare nämlich wollte man zugunsten des Londoner Black House versteigern, einer Black-Power-Gruppierung um den selbst
ernannten Anführer Michael X. Und die Shorts zugunsten der Friedenskampagne von John und Yoko verkaufen. Über die tatsächliche Verwendung der Gelder ist indes nichts bekannt. Das Black House
musste schließen und brannte unter mysteriösen Umständen nieder; Michael X wurde später als Mörder verurteilt. Immerhin: Lennons Ohren bekamen wieder Luft und Licht. Schon hundert Jahre
früher stellte sich die Frage: Wieso sollten denn nur Friseure an Haaren verdienen? Warum nicht auch ein Putenzüchter? Und sollte nicht derjenige dafür bezahlen, der das Haar schneiden darf
– statt umgekehrt? SIEBEN MÄHNENMÄDCHEN ALS ZIRKUSATTRAKTION Auf solche Ideen kam Fletcher Sutherland. Er hatte eine Putenfarm im Niagara County, New York, von seinem Vater übernommen, doch
sie machte viel Arbeit und brachte wenig ein. Sutherland selbst sah sich eher als Prediger, Schriftsteller und Erfinder und stellte sich auch für seine sieben Töchter eine andere Zukunft vor
als die Putenzucht. Nach dem Tod seiner Frau 1867 änderte er das Geschäftsmodell und schickte seine Mädchen auf die Bühne. Wohin sie auch kamen, schnappte das Publikum nach Luft: Sarah,
Victoria, Isabella, Grace, Naomi, Dora und Mary konnten singen und spielten Instrumente – aber das interessierte niemanden. Was viel mehr Aufsehen erregte: Sie trugen ihre Haare offen.
Fotostrecke Big Hair und kein Friseur: Sie hatten die Haare schön Foto: Granger / ullstein bild Jede im Septett hatte eine überaus üppige Mähne, die normalerweise niemand zu sehen bekam. Das
Haar einer Frau stand damals im Mittelpunkt sexuellen Interesses. In einer Zeit, als wegen Krankheiten und mangels Medizin vielen Männern wie Frauen die echten Haare ausgingen, wurden
extrem lange und dicke Haare zum ultimativen Symbol für Weiblichkeit und Leidenschaft. Schriftsteller feierten sie in Romanen, sprachen ihnen magische Kräfte zu. Es blieb meist bei
Fantasien, denn eine »anständige« Frau trug ihr Haar in der Öffentlichkeit stets zusammengebunden oder gar bedeckt. Was garantierte also im späten 19. Jahrhundert Aufmerksamkeit auf einer
Bühne? Das Rapunzel-artig bodenlange Haar herunterzulassen. EINE STRÄHNE FÜR 2500 DOLLAR Als »The Seven Wonders« schafften es die Ladys 1880 zu einem Auftritt am Broadway in New York City,
gingen in den USA auf Tournee und reisten ab 1884 mit Barnum und Baileys »Greatest Show on Earth« durch die Lande. Zu dieser Zeit konnten sie kaum mehr auf die Straße gehen, ohne einen
Schwarm Verehrer wie die eigene Haarpracht hinter sich herzuziehen. Biograf Brandon Stickney bezeichnete sie als Amerikas erste Promi-Models. Der Vater setzte in Sachen Vermarktung noch eins
drauf: Er erfand ein patentiertes Haarwuchsmittel. Für die Wirksamkeit garantierte neben den Töchtern mit ihrer beworbenen »37 Fuß«-Gesamthaarlänge (mehr als elf Meter) auch er selbst – mit
seiner Glaubwürdigkeit als Prediger. Dafür zeichnete er mit seinem Titel »Rev. Fletcher Sutherland«. Im ersten Jahr 1884 erzielte die Sutherland Sisters Corporation damit einen Umsatz von
90.000 Dollar, so die Schätzung des Museums Erie Canal Discovery Center. Bis 1890 hatten die Schwestern – der Vater war inzwischen gestorben – rund 2,5 Millionen Flaschen des Mittels
verkauft und mehr als drei Millionen Dollar eingenommen. Ihre Haarpflegeprodukte blieben über Jahrzehnte erfolgreich. Auch die »Seven Sutherland Sisters« hatten Geschäftssinn entwickelt:
Laut Biograf Stickney soll ein Fan Victoria 2500 Dollar angeboten haben, um ihr alle Haare abzuschneiden. Sie lehnte ab, verkaufte aber eine Strähne an einen Juwelier, der diese mit einem
Diamanten versehen in sein Schaufenster hängte. Geduld und Haarpflege können sich also auszahlen. Wenn's im Lockdown länger dauert mit einem Friseurtermin, steigen auch die Chancen auf
einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde: Bei der Haarlänge triumphiert bislang Xie Qiuping aus China – 5,62 Meter, festgestellt am 8. Mai 2004. In einem einzigen Lockdown schafft man das
nicht: Sie hatte schon 1973 begonnen, ihr Haar wachsen zu lassen.