Die meisten erwachsenen scheitern an wahrscheinlichkeitsrechnung – geht der mathe-unterricht an der realität vorbei? - news4teachers

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REGENSBURG. DIE MEISTEN ERWACHSENEN VERZETTELN SICH SCHNELL, WENN ES UM DAS BERECHNEN VON WAHRSCHEINLICHKEITEN GEHT. DOCH WIE KANN DAS SEIN, IST STOCHASTIK DOCH EIN WESENTLICHER BESTANDTEIL


DES MATHEMATIKUNTERRICHTS, DESSEN PRAXISRELEVANZ AUCH NOCH WEITGEHEND AUSSER FRAGE STEHT? WISSENSCHAFTLER DER UNIVERSITÄT REGENSBURG SIND DIESER FRAGE NACHGEGANGEN. Viele Schüler hoffen,


dass sie mit der Schule die Stochastik hinter sich lassen können. Doch die Wahrscheinlichkeitsrechnung lauert nicht nur im Alltag an vielen Stellen sondern ist auch wesentlich für die


bewusste Urteilsbildung. „In unserer heutigen Welt ist Prozent das häufigste Substantiv in den Tageszeitungen. Ohne das Verständnis für Wahrscheinlichkeiten würden wir nicht zurechtkommen.“,


formuliert etwa Stefan Krauss, von der Universität Regensburg. Hat die ungeliebte Wahrscheinlichkeitsrechnung ihren hohen Stellenwert in der Schule mithin zu Recht, zeigen Untersuchungen,


dass regelmäßig rund drei Viertel der Studienteilnehmer an Aufgaben scheitern, bei denen es gilt, Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Warum das so ist, hat Mathematikdidaktiker Krauss nun


zusammen mit seinen Kollegen Karin Binder und Patrick Weber untersucht. 180 Personen stellten sie jeweils zwei Aufgaben – eine, die in Wahrscheinlichkeiten und eine die in Häufigkeiten


formuliert war. Den Unterschied erläutern die Wissenschaftler am Beispiel des Mammographie-Screenings zur Brustkrebsfrüherkennung: Mit dieser Methode könnten 80 Prozent der Fälle von


Brustkrebs erkannt werden. Eine Frau erhält ein positives Ergebnis. Um nun die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, dass sie Brustkrebs hat, fehlen noch weitere Informationen: Insgesamt haben


etwa ein Prozent der Frauen, die am Mammographie-Screening teilnehmen, Brustkrebs. Und die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau, die keinen Brustkrebs hat, ein positives Ergebnis erhält, liegt


bei 9,6 Prozent (laut einer Studie von 1982). Die Berechnung der Brustkrebswahrscheinlichkeit der positiv untersuchten Frau mit den sogenannten bedingten Wahrscheinlichkeiten kann auf Basis


dieser Daten im Beispiel (nach der Formel von Bayes) folgendermaßen berechnet werden: 0.8 * 0,01 / (0,8 * 0,01 + 0,096 * 0,99) = 0,07764 Das heißt, nur 7,8 Prozent der positiv getesteten


Frauen haben Brustkrebs. Ein derart komplizierter Rechenweg dürfte im Alltag die meisten Menschen überfordern, bestätigt Weber: „Das ist für das Gehirn sehr komplex und es sind viele


Rechenschritte nötig, um auf das gewünschte Ergebnis zu kommen.“ Bei der Rechnung mit natürlichen Häufigkeiten ergibt sich ein anderes Bild: Im Mammographie-Beispiel wäre von einer konkreten


Anzahl an Frauen auszugehen: 100 von 10.000 Frauen, die am Mammographie-Screening teilnehmen, haben Brustkrebs. Von diesen 100 Frauen erhalten 80 ein positives Testergebnis. Aber auch 950


von den 9.900 gesunden Frauen erhalten ein positives Ergebnis. Insgesamt erhalten also 1.030 Frauen ein positives Ergebnis, davon sind aber nur 80 Frauen (7,8%) wirklich krank. Dass das


zweite Rechnungsbeispiel nicht nur einfacher scheint, haben Untersuchungen, zuletzt ein Berliner Studie im Jahr 2017 gezeigt. Aufgaben mit bedingten Wahrscheinlichkeiten konnten nur etwa


vier Prozent der Teilnehmer lösen, während es bei Aufgaben mit natürlichen Häufigkeiten 24 Prozent waren. Mit diesen Zahlen korrespondierte auch das Ergebnis der Regensburger


Wissenschaftler: Während nur Wenige der 180 Studienteilnehmer die Wahrscheinlichkeitsangaben in Häufigkeiten umrechneten, „übersetzte“ etwa die Hälfte die intuitiven Häufigkeiten erst einmal


in die komplizierteren Wahrscheinlichkeiten. Auf diesem komplizierten Lösungsweg konnten die Aufgabe dann nicht mehr lösen. Den Grund dafür, warum sich so viele Menschen für den


unintuitiven Rechenweg entscheiden, vermuten die Mathematikdidaktiker in der schulischen Ausbildung. Denn die Wahrscheinlichkeiten hätten im Gegensatz zu den Häufigkeiten einen angestammten


Platz im Lehrplan. „Die Wahrscheinlichkeiten haben schon lange ihre Tradition und ihren Stellenwert in der Mathematik. So entsteht manchmal der Eindruck, dass sie mathematisch korrekter sind


als die Rechnung mit Häufigkeiten“, erklärt Patrick Weber. „Das ist aber ein Trugschluss, denn Häufigkeiten können genauso mathematisch korrekt definiert werden.“ Damit sich künftige


Generationen nicht mehr so leicht in Wahrscheinlichkeiten verzetteln, empfehlen die Wissenschaftler, auch das Format der natürlichen Häufigkeiten viel systematischer in den


Mathematikunterricht einzubeziehen. Komplett auf die bedingten Wahrscheinlichkeiten verzichten sollte man aber nicht. Vielmehr müssten Schüler befähigt werden, so Katrin Binder, „mit diesen


Wahrscheinlichkeiten umzugehen und sie vielleicht in einfachere Informationsformate, wie die natürlichen Häufigkeiten zu übersetzen“. (zab, pm) • ORIGINALPUBLIKATION: P. WEBER, K. BINDER AND


S. KRAUSS, “WHY CAN ONLY 24% SOLVE BAYESIAN REASONING PROBLEMS IN NATURAL FREQUENCIES: FREQUENCY PHOBIA IN SPITE OF PROBABILITY BLINDNESS“, FRONTIERS IN PSYCHOLOGY (2018) Der Beitrag wird


auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert. > Mathelehrer schlagen Alarm: Mathematikausbildung in der Krise – > schuld sei die Kompetenzorientierung – Brandbrief an die 


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