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Was wünschen wir uns eigentlich von unserem Regierungschef? Er soll in schwierigen Momenten den Überblick behalten, klar. Aber soll er uns auch durch Krisen führen können? Das ist die Frage.
Stellen wir uns vor, Gerhard Schröder wäre heute Bundeskanzler. Glauben wir, dass Schröder seine Tage damit zubringen würde, mit den Ministerpräsidenten zu diskutieren, warum man jetzt über
Ostern nach Mallorca fahren darf, aber nicht ins Seebad Bansin? Oder ob Kinder nun ein oder zwei Spielkameraden sehen dürfen? Der Gerd, wie ihn seine Freude nannten, hatte viele Schwächen.
Er hatte Mühe, die eheliche Treue zu halten. Er konnte überraschend eitel sein und verstrickte sich deshalb in obskure Händel wie den zur Natürlichkeit seiner Haarfarbe. Er hatte ein Faible
für zwielichtige Freunde. Gleichzeitig war er im Umgang mit seinen Leuten erstaunlich großzügig. Vor allem war er ein entscheidungsfreudiger Kanzler. ANZEIGE WAS SCHRÖDER IN DER KRISE
GEMACHT HÄTTE Was hätte Schröder in der Pandemie getan? Er hätte einen Krisenstab gegründet, mit einem seiner Freunde aus der Wirtschaft an der Spitze, einem Managertyp, der weiß, wie man
Dinge organisiert. So wie er den VW-Vorstand Peter Hartz beizog, als das Land auf fünf Millionen Arbeitslose zusteuerte. Schröder schätzte durchaus die Qualitäten der Berliner
Ministerialbürokratie. Aber er wäre nie auf die Idee gekommen, von einem Beamten zu verlangen, unbürokratisch zu denken. ANZEIGE Er hätte einen wachen Blick auf die Impfstoffpolitik der
EU-Kommission gehabt, da er selbstverständlich davon ausging, dass andere Länder nicht deshalb ihre nationalen Interessen hintanstellen, weil wir Deutsche das tun. MEHR AUS DEM BEREICH
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nutzt Nazi-Vergleiche und seinen alten Job gegen Merz Freitag, 30.05.2025 | 20:03 Er hätte auch nicht gezögert, sich ans Telefon zu hängen und Joe Biden im Weißen Haus anzurufen, um den
US-Präsidenten zu fragen, ob er nicht ein paar Millionen der Astrazeneca-Impfungen abgeben könne, die sie in den USA nicht mehr brauchen. Jetzt gehen die überzähligen Impfdosen nach Kanada
und Mexiko. Ein solcher Anruf wäre ja eine bilaterale Abmachung, und bilaterale Geschäfte macht Angela Merkel nicht. ANZEIGE „KULTUR DER ANGST“ UND SEMINARE ÜBER „POSTHEROISCHE FÜHRUNG“ Es
ist ein interessantes Gedankenspiel, wie ich finde. Wir haben im September Wahlen. Mit unserer Stimme entscheiden wir nicht nur über Wahlprogramme, sondern auch über den künftigen
Regierungsstil. Was suchen wir als Eigenschaften in einem Regierungschef? Er soll in schwierigen Momenten den Überblick behalten, klar. Er soll charakterlich integer sein und sich nicht von
niederen Motiven wie Rachsucht oder einem zu großen Selbstdarstellungsdrang leiten lassen. Aber soll er uns auch durch Krisen führen können? Das ist die Frage. ANZEIGE Es gibt eine Aversion
gegen das Führen. Wer die anderen nicht bei der Entscheidungsfindung mitnimmt und einbindet, wie es so schön heißt, gilt als Autist. Oder schlimmer noch: als autoritärer Knochen. Das sei
Führungsstil von oben, so könne man heute nicht mehr leiten. Schon das Wort „Führung“ gilt als suspekt. ANZEIGE Der Vorwurf, jemand trete zu autoritär auf, ist schnell erhoben. Bei der
„Bild“ geriet gerade der Chefredakteur in Schwierigkeiten, weil er seine Redakteure zu ruppig behandelt haben soll. Er habe eine „Kultur der Angst“ verbreitet, stand in den Mediendiensten.
Möglicherweise habe ich so lange in einer Kultur der Angst gelebt, dass sie mich verdorben hat. Mein erster Chef war Werner Funk. Funk hatte in der Branche den Spitznamen Kim Il Funk. Es
soll vorgekommen sein, dass Redakteure weinend aus seinem Zimmer liefen, nachdem er ihnen gesagt hatte, was er von ihren Texten hielt. Funk habe mit wenigen Halbsätzen einen Menschen töten
können, hat ein Ressortleiter des „Spiegel“ über ihn gesagt. ANZEIGE Nach Funk kam Stefan Aust. Auch Aust stand, was das Verständnis für die Befindlichkeiten seiner Untergebenen angeht,
nicht im besten Ruf. Er sei nicht dialogfähig und agiere selbstherrlich, hieß es über ihn. Er war dann als Chefredakteur so erfolgreich wie keiner vor ihm, von Augstein abgesehen. Leider war
es anschließend auch kein anderer mehr. Zwischendurch veranstalteten sie beim „Spiegel“ dann Seminare über „postheroische Führung“, wo den Ressortleitern von Psychologen beigebracht wurde,
wie man auf andere eingeht. Sagen wir so: Der Auflage hat das nicht geholfen. ANZEIGE MERKELS STÄRKE LIEGT IM MODERIEREN, NICHT IM GESTALTEN Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen
Führungsstil und Entscheidungsstärke. Das ist, wenn man so will, die dunkle Seite der Krise. Was das Impfen angeht, liegt jetzt eine Reihe von Staaten vorne, die an der Spitze
Regierungschefs haben (oder bis Januar hatten), von denen es eben noch hieß, sie seien aus der Zeit gefallen: Donald Trump, Boris Johnson, Benjamin Netanjahu. ANZEIGE ANZEIGE Ich glaube, das
ist kein Zufall. Diese Leute sind darauf trainiert, ihren Instinkten zu vertrauen. Es macht auf sie auch wenig Eindruck, wenn man ihnen sagt, dass sie sich nicht kooperativ verhielten. Im
Zweifel sehen sie das als Kompliment. An Angela Merkel haben die Kanzler-Beobachter immer gerühmt, wie konsensual und inklusiv sie regiere. Ihre Stärke liegt bis heute im Moderieren, nicht
im Gestalten. ANZEIGE Am Sonntag war die Kanzlermoderatorin bei „Anne Will“ zu sehen. 60 Minuten erlebte man eine Regierungschefin, die bei allem dabei ist, aber nie beteiligt. Konsens ist
die Fluchttür von Leuten, die auch nicht weiterwissen. Führung setzt voraus, dass man eine Idee hat, wohin man führen will. Wer sich vor jeder Entscheidung der Zustimmung der Gruppe
versichert, muss keine Richtung vorgeben. Er folgt einfach dem Ratschluss der Mehrheit. Wenn es schiefgeht, war er oder sie wenigstens nicht alleine schuld. Angela Merkel hat es zur
Meisterschaft gebracht, nicht einmal für die Ergebnisse verantwortlich zu sein, die sie selbst herbeimoderiert hat. ANZEIGE WOMÖGLICH WERDEN WIR AUCH EIN WENIG DÜMMER Die Aversion gegen
Führung ist mittlerweile so weitverbreitet, dass auch Expertise allein nichts mehr zählt. Die Soziologie spricht von Symmetrieerwartung. Gemeint ist die Vorstellung, dass nur im Konsens
getroffene Entscheidungen gute Entscheidungen sind, weshalb jede Form der Hierarchie im Grund abzulehnen ist. ANZEIGE Ich saß mit einem Professor in München zum Mittagessen zusammen, der mir
davon berichtete, dass er nicht einfach sagen könne, was er in seinem Fach für wichtig hält und was für entbehrlich. Früher wurde bei einem Professor stillschweigend vorausgesetzt, dass er
mehr weiß als seine Studenten und deshalb bestimmt, was sie zu lernen haben. Das ist vorbei. Autorität ist nicht mehr selbstverständlich, sie muss erst im Gespräch etabliert werden. ANZEIGE
So zieht sich das durch die Professionen. Von einem guten Chefarzt wird erwartet, dass er allen das Gefühl gibt, sie bei seinen Entscheidungen eingebunden zu haben. Am Ende muss einer sagen,
ob lebenserhaltende Maßnahmen eingeleitet werden oder nicht, daran führt kein Weg vorbei. Aber bevor es so weit ist, tagt eine Ethikkommission, in der sich alle Beschäftigten an einem Tisch
versammeln, um auf Augenhöhe darüber zu beraten, was zu tun ist. ANZEIGE „GANZ SICHER WIRD UNSER LEBEN KOMPLIZIERTER“ „Unsere modernen Selbstverständigungsdiskurse sind infiziert von der
Vorstellung, Asymmetrien, Machtunterschiede und sonstige Ungleichheiten seien falsch“, hat die Soziologin Irmhild Saake beobachtet. „Die Sätze, die der Arzt sagt, gelten als zu technisch und
kalt. Die ,weibliche‘ Intuition der Krankenschwester gewinnt dagegen an Einfluss, weil ihre eher emotionalen, warmen Sätze jeder verstehen kann. Am glücklichsten sind alle, wenn der Arzt
plötzlich wie eine Krankenschwester redet und von der Lebensenergie eines Patienten schwärmt.“ ANZEIGE ANZEIGE Wenn man die Symmetrieerwartung weiterdenkt, ist schon die Annahme, dass sich
das gute Argument gegen das schlechte durchsetzt, zweifelhaft. Wer die Qualität von Argumenten bewertet und damit hierarchisiert, stellt ein Machtgefälle her, also genau das, was es zu
vermeiden gilt. „Gut möglich, dass unsere Gesellschaft auf diese Weise freier, gleicher, gerechter wird“, schreibt die Soziologin über das Leben auf Augenhöhe. „Ganz sicher wird unser Leben
komplizierter.“ Vor der Krise hätte ich wie Saake gesagt: Womöglich werden wir auch ein wenig dümmer. Seit Corona weiß ich: In jedem Fall ist der postheroische Weg tödlicher. ANZEIGE DAS
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