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Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde. Für einen Moment lebten sie in den vergangenen Tagen noch einmal auf, die goldenen Zeiten von Gruner+Jahr (G+J). In Geschichten, die
Altgediente und Ehemalige sich über den früheren Vorstandsvorsitzenden Gerd Schulte-Hillen erzählten, der am Mittwoch im Alter von 80 Jahren verstorben war. Er führte G+J ab 1981 rund zwei
Jahrzehnte lang und machte aus dem Hamburger Verlag, zu dem »Stern«, »Geo«, »Brigitte« und eine Beteiligung am SPIEGEL gehören, Europas größtes Zeitschriftenhaus. Selbst die Journalisten des
Hauses zollten ihm Respekt, was einem Verlagsmanager selten widerfährt. Schulte-Hillen schützte sie. Er schätzte kritische Berichte und lachte mitunter laut auf, wenn deshalb Werbeanzeigen
wegblieben. »Bela«, so sein Spitzname, den ihm ein russisches Kindermädchen verliehen hatte, war ein kleiner König. Das ließ er auch den Mutterkonzern Bertelsmann spüren, in dessen Vorstand
er saß und wo er gern mal Meinungen vertrat, die dort keine Mehrheit hatten. Er machte auch kein Geheimnis daraus, dass er von der Machtfülle der Matriarchin Liz Mohn nicht allzu viel hielt.
Der König ist tot. Dass es nun auch mit seinem einstigen Reich zu Ende geht, hat er nicht mehr erlebt. An diesem Freitag verkündete Bertelsmann, dass G+J von der 75-prozentigen
Konzerntochter RTL geschluckt wird. Zum 1. Januar 2022 wird der Verlag, der im vergangenen Jahr auf einen Umsatz von 1,1 Milliarden Euro kam, in den Besitz der Kölner TV-Gruppe übergehen –
für 230 Millionen Euro, ein Schnäppchen. Seit Längerem war die Fusion in der Gütersloher Zentrale vorbereitet worden. Bertelsmann-CEO Thomas Rabe sprach in den vergangenen Monaten stets von
einer »ergebnisoffenen« Prüfung der Pläne . Wie man das so sagt, wenn eigentlich schon alles klar ist. Das Requiem auf G+J hält Rabe am Vormittag, in Form einer Pressekonferenz. Dabei bemüht
er sich, die Veranstaltung nicht wie ein Begräbnis wirken zu lassen. Sondern als Übergang in ein neues, noch schöneres Leben in einer anderen, besseren, crossmedialen Welt. Da Rabe jedoch
kein Mann des Pastoralen, sondern der Zahlen ist, wirkt sein Vortrag eher wie ein Management-Seminar. Durch die Fusion, so Rabe, entstehe ein »journalistisches Powerhouse« mit der
»Inhalte-Kompetenz« von insgesamt mehr als 1500 Journalisten. Jährlich sollen bis zu hundert Millionen Euro an Synergien erwirtschaftet werden. Drei Viertel davon durch Wachstum, ein Viertel
durch Sparen, auch beim Personal. Rabe gebraucht Vokabeln wie »Matrix«, »nationaler Medienchampion«, »gattungsübergreifende Ressorts«, er spricht von einem »stark nach vorn gerichteten
Projekt« und übt sich in Zuversicht: G+J und RTL seien, aufgrund ihrer bisherigen Kooperationen, nicht zwei einander fremde Unternehmen, die nun schauen müssten, »ob sie sich vertragen«.
Eine Mitarbeiterumfrage habe eine »überwältigende« Zustimmung für die Pläne ergeben. Für die Journalisten der Redaktionen bedeute die Fusion eine »phänomenale Erweiterung ihres
Betätigungsfelds«, sie könnten ihre Inhalte nun noch besser »crossmedial ausspielen«, so Rabe. »Ich fände das, wenn ich Journalist oder Redakteur wäre, ausgesprochen motivierend.« WER IST
EIGENTLICH DIESER BERND? Nicht wenige G+J-Journalisten sehen das offenbar anders. Während Rabe seine Rede hält, frotzelten sie in Hamburg über eine E-Mail, die sie am Morgen vom Account des
G+J-Chefs Stephan Schäfer erhalten haben und in der von der »einmaligen Chance« die Rede ist, das »erste vollintegrierte Medienunternehmen Deutschlands« zu werden, »Herzliche Grüße, Bernd
und Stephan«: Wer eigentlich dieser Bernd sei, der da so nett mitunterschrieben habe, etwa RTL-Deutschland-Chef Reichart? Und ist er künftig eigentlich auch ihr Chef? Schäfer gilt bereits
seit einigen Jahren als der kommende Mann im Konzern. Mit dem Abgang von G+J-Chefin Julia Jäkel Ende März wurde er die Nummer eins im Verlag. Geschäftsführer Inhalte & Marken bei der
Mediengruppe RTL Deutschland ist er bereits seit 2019. Er und RTL-Chef Reichart können, wie es heißt, nicht sonderlich gut miteinander, von einem Zweikampf ist die Rede. Noch eine Frage, die
man sich in Hamburg stellt: Bestimmt RTL künftig, was im »Stern« steht? Rabe beschwichtigt in der Pressekonferenz, es gelte weiterhin das Chefredakteursprinzip, das bei Bertelsmann stets
heilig war: »G+J wird keinesfalls die Schreibbank von RTL.« Wie wenig er noch an das alte Geschäft von G+J glaubt, verbirgt Rabe indes nicht. Der Rückgang im Vertrieb wie im Anzeigengeschäft
schrumpfe den Umsatz jährlich um sechs Prozent. Zunehmend kompensiere man das »durch ein Wachstum der Digitalgeschäfte«. Man hätte das durch dauerhaftes Sparen ausgleichen können, »aber das
kann nicht unser Anspruch sein«, man wolle wachsen. G+J wird nicht komplett in RTL aufgehen. Die TV-Gruppe übernimmt nur, wovon sie sich Synergien verspricht. Die 25,5-Prozent-Beteiligung
am SPIEGEL bleibt bei Bertelsmann. Außen vor sind auch die »Sächsische Zeitung«, die DDV Mediengruppe, Applike und die Tochterfirma Territory, die unter anderem das Deutsche-Bahn-Magazin »DB
mobil« produziert. Die G+J-Mitarbeiter werden auch künftig in Hamburg sitzen, ein neues Gebäude wird noch gesucht. Verwaltet werden sie gemeinsam mit RTL. Es mache keinen Sinn, dass die
TV-Gruppe den Verlag erwerbe, und »Gruner in Hamburg weiter vor sich hinwerkelt«, so Rabe. Weil er wohl merkt, dass die Formulierung bei G+J schlecht ankommen könnte, fügt Rabe hinzu: »Und
RTL in Köln«. Der Tag der Pressekonferenz ist zugleich Rabes 56. Geburtstag. Sein G+J-Deal wirkt auch wie ein Geschenk an sich selbst. Ob RTL und G+J wirklich so gut zusammenpassen, wie er
sich das ausgedacht hat? Die Mehrheit der Fusionen scheitert an Unterschieden in der Hauskultur. Wie viele Journalisten unter den 1700 G+J-Leuten seien, die nun Teil von RTL werden, will
jemand wissen. Rabe sagt zunächst etwas von 500, bekommt jedoch offenbar eingeflüstert, es seien mehr. Ungefähr 800. Als komme es darauf nicht mehr so genau an.