Allgäu: wenn die dorfkneipe schliesst - abschied vom café nanu

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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Ich habe es bei Instagram erfahren, in der Story einer guten Freundin. Sie


teilte einen Artikel mit der Nachricht: Die Kneipe in meinem Heimatort muss nach 34 Jahren schließen. Wegen der C-Krise gibt es nicht mal eine Abrissparty. Das macht mich traurig. Ich habe


mich oft gefragt, was diesen Ort im Allgäu, auf dem bayerischen Land, wo ich aufgewachsen bin, zu einem macht, der nicht langsam schrumpft und irgendwann stirbt, sondern zu einem, in dem


junge Leute WGs gründen. Da kann man sagen, an der tollen Schule liegt's, wo Kinder, obwohl der Ort nur 8000 Einwohner hat, alle Schulabschlüsse machen können, vom Quali bis zum Abi.


Oder an den Bergen, die man bei klarem Himmel schon vom Balkon aus sehen kann. Der Bürgermeister würde bestimmt sagen: an der Fast-Vollbeschäftigung in der Region. Aber ich bin mir nicht so


sicher. VIELLEICHT HAT ES AUCH MIT DIESER KNEIPE ZU TUN, über die andere viel besser berichten können als ich, ich war ja bloß an Weihnachten und Ostern dort: dem Café Nanu. Café ist eine


nette Übertreibung, wie vieles da drin, mit den abgeranzten Kickertischen, den immer gleichen Playlists (»Quit Playing Games With My Heart«), dem billigen Whiskey, wo Jacky Cola  auf


Nachfrage auch in Maßkrügen serviert wurde. Was macht es mit einem Ort, wenn seine Kneipe stirbt? Was geht noch kaputt? Am 23. Dezember trafen wir uns sonst zur »Welcome Home«-Party alle


wieder: Die, die blieben. Die, die gingen. Für die, die blieben, war die Kneipe, am Donnerstag, am Freitag, am Samstag, eine Option. Ein Tresen, ein Bier und Leute, die man in der Woche


davor schon mal getroffen hatte. Für uns, die nur manchmal dazustießen, ist das Nanu immer auch ein Was-wäre-Wenn gewesen. Wenn ich geblieben wäre – wen würde ich lieben, wer würde ich sein?


Welche Geschichte würde ich an dem Abend erzählen? BEI DIESEN WEIHNACHTSPARTYS WAREN DANN DIE DAGEBLIEBENEN UND DIE WIEDERGEKEHRTEN SELTSAM VEREINT. Mit dem Gefühl, dass wir uns alle hier


das erste Mal betrunken und Jungs geküsst haben, deren Zungen nach Wodka-O und Grillsoße schmeckten. Der Weg zum Erwachsensein führte uns alle durch die Tür derselben Bar. Kneipe als


Initiation, oder, wie Camilla in der lokalen Onlinezeitung  jetzt geschrieben hat: »Das Nanu war ein Ort der Begegnung – verschiedene Altersklassen und Sportvereine sind hier


zusammengekommen. Zum Feiern, zum Tanzen, zum Kartenspielen.« Ich lese weiter und erfahre, dass das letzte Kneipenjahr, 2020 also, ein besonderes hätte werden sollen, doch dann, Sie wissen


schon. Vielleicht war noch mal so eine Neunzigerjahre-Trash-Party geplant, auf denen ich früher mit meiner Freundin Larissa immer tanzte und dabei seltsame Seestern-Ohrringe trug, wie Ihnen


vielleicht auf dem Foto oben auch schon aufgefallen ist. Vielleicht wäre noch mal meine Mutter mitgekommen, was ja unter objektiven Gesichtspunkten gar nicht geht, mit der Mutter auf


derselben Party. Aber im Nanu ist es gut gegangen. WAS UNTERSCHEIDET EIN DORF VOM ANDEREN? Darüber denke ich jetzt viel nach. Und dann fallen mir die zwei, drei Wirte zu Hause ein, die ab


und zu einen Zettel am Schwarzen Brett der Raiffeisenbank aufgehängt haben. Auf dem luden sie zur Musiknacht. Zur kleinen Lesung. Zum Kinoabend im Pfarrsaal. Oder eben, dann eher über


Facebook, zur Mottoparty im Café Nanu. Beim Nanu ist nicht Corona schuld an der Schließung, der Pachtvertrag läuft aus, das Haus wird abgerissen. Aber was wird die globale Pandemie anderswo


im ganz Kleinen anrichten, bei den Wirtinnen und Wirten auf den Dörfern, bis jetzt so was wie die Möglichmacher von Provinzleben? Was hängt 2021 am Schwarzen Brett? Die Antwort auf die


Frage, was so einen Ort zusammenhält, ist eben doch: ein Platz zum Treffen, für die Jüngeren vor allem, wenn die Sofas zu Hause zu eng geworden sind. Ein Platz, an dem Geschichten anfangen


und zu Mythen werden dürfen. So ein Platz war bis jetzt da, wo in Ottobeuren die Luitpoldstraße einen großen Knick macht, in dem Haus mit dem Raufaserputz in hässlichem Grün, aber ehrlich


gesagt, am 23. Dezember war im Nanu für eine Nacht immer alles sehr schön.